[i]
Auch wissenschaftliche
unternehmungen, denen es noth thut tiefe wurzel zu schlagen und
weit zu greifen, hängen von äuszeren anlässen ab.
allgemein bekannt ist, dasz im jahr 1837 könig Ernst August von Hannover
die durch seinen vorgänger gegebne, im lande zu
recht beständige und beschworne verfassung eigenmächtig
umstürzte, und dasz mit wenigen andern, die
ihren eid nicht wollten fahren lassen (denn wozu sind
eide, wenn sie unwahr sein und nicht gehalten werden
sollen?), ich und mein bruder unserer ämter entsetzt
wurden. in dieser zugleich drückenden und erhebenden
lage, da den geächteten die öffentliche meinung
schützend zur seite trat, geschah uns von der weidmannschen
buchhandlung der antrag, unsere unfreiwillige
musze auszufüllen und ein neues, groszes wörterbuch
der deutschen sprache abzufassen. unmusze,
und die freiwilligste war genug da, sie wäre nimmer
ausgegangen, was frommte ihrer mehr und im überschwank
zu bereiten? beinahe hiesz es alte warm gepflegte
arbeiten aus dem nest stoszen, eine neue ungewohnte
und mit jenen, aller nahen verwandtschaft zum
trotz unverträgliche, ihren fittich heftiger schlagende
darin aufnehmen. auf deutsche sprache von jeher standen
alle unsere bestrebungen, den gedanken ihren unermessenen
wortvorrat selbst einzutragen hatten wir
doch nie gehegt, und schon der mühsamen zurüstungen
sich zu unterfangen konnte den für die ausdauer
unentbehrlichen mut auf die probe stellen. aber im
vorschlag lag auch etwas unwiderstehliches, das sich
gleich geltend machte und zum voraus allen schwierigkeiten,
den vor augen schwebenden, wie solchen, die
sich erst, wenn hand angelegt werden sollte, erzeigen
würden und die es vorauszuschauen unmöglich ist, die
spitze bot. wir erwogen und erwogen, ein unabsehbares,
von keinem noch angelegtes, geschweige vollbrachtes
werk öfnete allenthalben die fernsten aussichten.
es gab weder ein deutsches wörterbuch, noch
einer andern neueren sprache in dem umfassenden,
ausgedehnten sinn, den wir ahnten, welchem gerade
jetzt mehr als irgend wann mit treu aufgewandten kräften
folge geleistet, mit reger theilnahme entgegen gekommen
werden könnte. seine ungeheure wucht sollte
nun auf vier schultern fallen: das schien sie zwar zu
[ii]
erleichtern und vertheilen, indem ihm aber auch zwei
häupter erwuchsen, die nothwendige einheit wo nicht
des entwurfs, doch der ausführung zu gefährden. dies
bedenken dennoch hielt keinen stich gegen die stete
gemeinschaft, in der wir von kindesbeinen an gelebt
hatten, die wie bisher auch für die zukunft unsere geschicke
zu bestimmen und zu sichern befugt war. eingedenk
des uralten spruchs, dasz ein bruder dem andern
wie die hand der hand helfe, übernahmen wir williges
und beherztes entschlusses, ohne langes fackeln, das
dargereichte geschäft, zu dessen gunsten auch alle übrigen
gründe den ausschlag gegeben hatten. auf welche
weise wir uns beide in es finden und einrichten, soll
hernach unverhalten bleiben.
Jahre sind, nachdem durch die gnade des königs von
Preuszen wir hier in Berlin schirm und freiheit für unsere
forschungen erlangt haben, verflossen, bevor angehoben
werden konnte, und schon ist jenes öffentliche
ereignis vor andern noch viel stärker erschütternden,
deren vorspiel es gleichsam abgab, in den hintergrund
gewichen. mag das werk, dessen beginn auf des geliebten
vaterlandes altar wir nun darbringen, einst vollführt
gegründetere zuversicht erwecken, dasz es im andenken
der nachwelt haften und nicht schwinden werde,
so ist uns damit alles leid vergolten.
Längst entbehrt unsere sprache ihren dualis, dessen
ich mich hier immer bedienen müste, und den pluralis
fortzuführen fällt mir zu lästig. ich will das viele, was
ich alles zu sagen habe, und von dem auch meine eigensten,
innersten empfindungen beschwichtigt oder angefochten
werden, frischweg in meinem namen aussprechen;
leicht wird, sobald er künftig das wort ergreift
und seine weichere feder ansetzt, Wilhelm meinen
ersten bericht bestätigen und ergänzen. Hingegeben
einer unablässigen arbeit, die mich je genauer
ich sie kennen lerne, mit stärkerem behagen erfüllt, warum
sollte ich bergen, dasz ich meinestheils entschieden
sie von mir gewiesen hätte, wenn unangetastet ich an
der Göttinger stelle geblieben wäre? im vorgerückten alter
fühle ich, dasz die faden meiner übrigen angefangnen
oder mit mir umgetragnen bücher, die ich jetzt
noch in der hand halte, darüber abbrechen. wie wenn
tagelang feine, dichte flocken vom himmel nieder fallen,
[iii]
bald die ganze gegend in unermeszlichem schnee
zugedeckt liegt, werde ich von der masse aus allen
ecken und ritzen auf mich andringender wörter gleichsam
eingeschneit. zuweilen möchte ich mich erheben
und alles wieder abschütteln, aber die rechte besinnung
bleibt dann nicht aus. es gälte doch für thorheit, geringeren
preisen obschon sehnsüchtig nachzuhängen
und den groszen ertrag auszer acht zu lassen.
Und was, wenn dieser weit mehr in der ergriffenen
sache selbst als in meiner befähigung geborgene gewinn
erfolgen kann, verschlägt es, dasz heimliche pfade,
die ich steigen wollte, nun unberührt bleiben, andere
beweise, die zu demselben ziel führen sollten, fehlen?
sie durften, aber sie müssen nicht hinzutreten. ich
hatte eingesehen, dasz die grundlage der menschlichen
sprachwerkzeuge, die uns anerschaffenen bedingungen
der sprache unter den geheimnisvollen gesetzen stehen,
die uns die naturwissenschaft überall unwandelbar
zeigt. zugleich aber, dasz in der sprache noch ein
wärmeres und veränderliches element walte, das ihrer
findung, aneignung, fortpflanzung und vervollkommnung
unter den menschengeschlechtern, das sie der geschichte
überweist und aus ihrem schosz die ganze manigfaltigkeit
der literatur hervorgehn läszt. jenen verhalt der
sprache zu den naturlauten auf zahllosen stufen hat
vorzugsweise die grammatik, die flut oder ebbe ihrer
zeitlichen erscheinungen zumal das wörterbuch darzustellen,
welchem wie der geschichte die urkunden, die
reichsten sammlungen des sprachvorrats unentbehrlich
werden.
Über eines solchen werkes antritt musz, wenn es
gedeihen soll, in der höhe ein heilbringendes gestirn
schweben. ich erkannte es im einklang zweier zeichen,
die sonst einander abstehen, hier aber von demselben
inneren grunde getrieben sich genähert hatten,
in dem aufschwung einer deutschen philologie und in
der empfänglichkeit des volks für seine muttersprache,
wie sie beide bewegt wurden durch erstarkte liebe zum
vaterland und untilgbare begierde nach seiner festeren
einigung. was haben wir denn gemeinsames als unsere
sprache und literatur?
Wer nun unsere alte sprache erforscht und mit beobachtender
seele bald der vorzüge gewahr wird, die sie
gegenüber der heutigen auszeichnen, sieht anfangs sich
unvermerkt zu allen denkmälern der vorzeit hingezogen
und von denen der gegenwart abgewandt. je weiter
aufwärts er klimmen kann, desto schöner und vollkommner
dünkt ihn die leibliche gestalt der sprache,
je näher ihrer jetzigen fassung er tritt, desto weher
thut ihm jene macht und gewandtheit der form in abnahme
und verfall zu finden. mit solcher lauterkeit
und vollendung der äuszeren beschaffenheit der sprache
wächst und steigt auch die zu gewinnende ausbeute, weil
das durchsichtigere mehr ergibt als das schon getrübte
und verworrene. sogar wenn ich bücher des sechzehnten
ja siebzehnten jahrhunderts durchlas, kam mir die
sprache, aller damaligen verwilderung und roheit unerachtet,
in manchen ihrer züge noch beneidenswerth
und vermögender vor als unsere heutige. welchen abstand
aber auch von ihnen stellte die edle, freie natur
der mittelhochdeutschen dichtungen dar, denen angestrengteste
mühe zu widmen unvergleichlichen lohn
[iv]
abwirft. doch nicht einmal aus ihrer fülle schienen
alle grammatischen entdeckungen von gewicht müssen
hergeleitet zu werden, sondern aus sparsam flieszenden
fast versiegenden althochdeutschen und gothischen
quellen, die uns unserer zunge älteste und gefügeste
regel kund thaten. es gab stunden, wo für abhanden
gekommne theile des Ulfilas
ich die gesamte poesie der
besten zeit des dreizehnten jahrhunderts mit freuden
ausgeliefert haben würde. den leuchtenden gesetzen
der ältesten sprache nachspürend verzichtet man lange
zeit auf die abgeblichenen der von heute.
Allein auch sie weisz schon ihren anspruch zu erheben
und verborgene anziehungskräfte auf uns auszuüben.
nicht nur ist der neue grund und boden viel
breiter und fester als der oft ganz schmale, lockere und
eingeengte alte, darum aber mit sichererem fusze zu betreten,
sondern jener einbusze der form gegenüber
steht auch eine geistigere ausbildung und durcharbeitung.
was dem alterthum doch meistens gebrach bestimmtheit
und leichtigkeit der gedanken, ist in weit
gröszerem masze der jetzigen zu eigen geworden, und
musz auf die länge aller lebendigen sinnlichkeit des ausdrucks
überwiegen. sie bietet also einen ohne alles
verhältnis gröszern, in sich selbst zusammenhängenden
und ausgeglichenen reichthum dar, der schwere verluste,
die sie erlitten hat, vergessen macht, während
die vorzüge der alten sprache oft nur an einzelnen plätzen,
abgebrochen und abgerissen, statt im ganzen
wirksam erscheinen. bei allen durch die zeit hervorgebrachten
verschiedenheiten waltet im groszen dennoch
eine beträchtliche durchblickende gemeinschaft
zwischen alter und neuer sprache, die in allen ihren
wendungen und sprüngen zu belauschen überraschende
freude macht. wenn auf zahllose stellen unserer gegenwart
licht aus der vergangenheit fällt, so gelingt
umgedreht es auch hin und wieder im dunkel liegende
flecken und gipfel der alten sprache eben mit der neuen
zu erhellen. manches im alterthum vorragende beruht
ganz auf sich selbst und läszt auszerhalb seiner schranke
sich weiter nicht verfolgen; die ungleich gröszere masse
des heutigen sprachschatzes wird durch überflieszende
belege lehrreich begründet. wahr ist, die alte sprache
leistet der grammatik bessere dienste, aber für auffassung
der wortbedeutungen wird die neue offenbar
wichtiger. die gothische formlehre, wo wir sie nur
anrühren, trägt zehnfach mehr frucht als die neuhochdeutsche,
doch die magerkeit eines gothischen oder
selbst althochdeutschen glossars gegen das mittelhochdeutsche
springt ins auge, wie könnte das mittelhochdeutsche
sich messen mit einem neuhochdeutschen
wörterbuch?
Hier also kehrt sich die betrachtung zu gunsten des
übernommenen werkes, das auf dem geebneten grunde
historischer sprachforschung ruhend eine weit vollere
und lebendigere samlung aller deutschen wörter veranstalten
soll, als sie noch stattgefunden hat. ein deutsches
wörterbuch mislang bisher aus dem doppelten
grunde, dasz es weder den gelehrten noch dem volk
ein genügen that.
Die wiederanfachung der classischen literatur im
fünfzehnten und sechzehnten jahrhundert hatte den
abstand der einheimischen, wissenschaftlich unausgebildeten
[v]
sprache von der griechischen und lateinischen
sehr fühlbar gemacht und nun begann die kluft zwischen
ihnen und jener desto schroffer vorzutreten.
unsre eigne muttersprache, welche doch seit jene classischen
zungen aus dem leben verschwunden waren,
vor allen europäischen ehmals zuerst sich geregt und
eignes lebens fähig erzeigt hatte, muste bald nur für
eine dienende handlangerin, für die brücke gelten, über
welche man aus dem schlamm heimischer barbarei ans
gestade jener beiden, vielmehr die hebräische, heilig
gehaltne hinzugerechnet, der drei einzig vollkommnen
sprachen schreite; die beschaffenheit einer rein
menschlichen, uns unmittelbarst nahe liegenden wundervollen
gabe zu erwägen, fiel lange gar niemand ein.
man war weder gewohnt noch darauf eingerichtet, hinter
dem, was seiner natur nach feine und tiefe regel
haben musz, sie auch wirklich zu suchen, und schleppte
für den oberflächlichsten gebrauch fortwährend sich
mit mageren leeren behelfen, die der sprache selbst
keinen nutzen, nur empfindlichen schaden zufügten.
die classischen sprachen waren gelehrt und zünftig, die
deutsche wurde nicht in die lehre genommen und in
keine zunft gelassen.
Unvergessen sein sollen die namen Goldast, Schilter,
Scherz,
Bodmer,
welche mit erfolg auf rettung und
herausgabe altdeutscher quellen dachten, die namen
Dasypodius,
Maaler,
Henisch,
Frisch,
denen samlung der deutschen wörter innig am herzen lag.
alle, ohne ausnahme, weisen nach Süddeutschland, wo vor
alters hochdeutsche sprache und poesie erwachsen war, wo
die meisten handschriften aufbewahrt lagen und die
fortlebende volksmundart stärker als anderswo an das
alterthum gemahnte und dessen verständnis förderte.
gleichwol traten die bemühungen dieser männer nicht
so weit vor, dasz ihnen selbst schon gelungen wäre,
sich eine geläufige kunde der frühern grammatik zu erwerben,
durch deren darstellung allein den nur unbefriedigend
bekannt gemachten quellen hätte können eingang
verschaft und das verhältnis der heutigen zur alten
sprache festgesetzt werden.
Was im verschiedensten sinn Leibnitz, Lessing, Klopstock, Adelung, Voss, sämtlich dem norden Deutschlands
angehörig, zum heil der deutschen sprache gewollt
und geleistet haben, wird jederzeit hochgeachtet
bleiben, konnte diese aber immer nicht im auge der
classischen philologen als voll erscheinen lassen, und
es war vergeblich das zu empfehlen, dessen ebenbürtigkeit
der schule erst auf überzeugendere weise dargethan
werden muste. niemals blieb einer der rechten
wege, die dahin führten, nur von ferne eingeschlagen.
sollte man es glauben, das im gesamten alterthum
unserer sprache durch die untiefen der vorzeit wie ein
fels ragende hauptwerk, auf dessen grund jeder bau zu
errichten war, Holländern, Engländern, Schweden überlassen,
wurde vor dem neunzehnten jahrhundert niemals
in Deutschland gedruckt und zugänglich gemacht.
durch Knittel
s entdeckung auf Ulfilas
geführt, dachte Lessing (11, 297) nur dem mageren theologischen gewinn,
nicht dem groszen sprachlichen nach: diesen
hellen, scharfen geist lenkte seine vorliebe für fabel
und spruch nur zu wenigen altdeutschen dichtern zweiten
oder dritten rangs; hätte er die besten je gelesen,
[vi]
er würde auch mittel gefunden haben für sie zu gewinnen.
von Klopstock,
den das alterthum und die schöne
unsrer sprache entzündete, der ihre grammatische eigenheit
fein herausfühlte, und in Kopenhagen leicht hätte
an die nordische lautere quelle näher treten können, von
ihm wäre gut gethan gewesen, sich doch mit dem wollautreichen
Otfried und
einigermaszen mit den minnesängern
vertraut zu machen; schlimmer ist, dasz er in
altsächsischer zunge, aus stellen die ihm Hickes darreichte,
nur ganz dilettantische kenntnisse zu ziehen
verstand und doch zur schau legt. auch der ihm nacheifernde,
in der versbildung bald überlegne Voss gibt, bei gröszerer belesenheit,
namentlich in seiner schrift
von der zeitmessung höchst unzureichende einsicht in die
altdeutsche sprache wie dichtkunst kund. darin zur seite
tritt beiden der ihnen sonst überall entgegenstehende
nüchterne Adelung
, dem nur gedichte von Hagedorn,
Gellert,
Weisze
gefielen, unter den ältern höchstens
noch die von Opitz
und dessen anhang eine halbe autorität,
alle seiner jüngeren zeitgenossen zuwider waren;
wie hätte er über sich gewonnen, die vermeinte roheit
des mittelalters mit ernsten blicken anzusehen? ihm genügte
fast an dem aller poesie baaren Teuerdank und
an einzelnen aus Bodmers
samlung erlesenen anführungen
oder an denen, die schon Frisch
und Schilter
reichten. leichter als die der alten dichtkunst wäre ihm
wol noch die anerkennung einer alten sprachregel gefallen,
von welcher er keine ahnung hatte, und die doch
vielen irrthümern und verstöszen seines wörterbuchs
abzuhelfen allein vermocht hätte. dem verleugnen der
altdeutschen poesie ein unbeabsichtigtes ende machte,
dasz es der neuen gelang ihren thron prächtig aufzuschlagen.
Göthes
und Schillers
hohe verdienste um
unsere sprache strahlen so glänzend, dasz ihre gelegentlich
etwa dargegebne abneigung vor einigen dichtungen
des mittelalters, deren gehalt dabei weniger in
betracht gekommen sein kann, als zufällige umstände,
gar nicht angeschlagen werden darf.
Nachdem diese groszen dichter vor dem ganzen volk
mit immer steigendem erfolg, was deutsche sprachgewalt
sei und meine, bewährt hatten und durch feindliche
unterjochung in den wehevollen anfängen dieses
jahrhunderts allen gemütern eingeprägt war, an diesem
kleinod unsrer sprache stolzer festzuhalten; fand
sich das bewustsein eines auch in ihr seit frühster zeit
waltenden grundgesetzes so erleichtert, dasz es nichts
als der einfachsten mittel bedurfte, um es auf einmal
zur anschauung zu bringen. diese willfährig aufgenommene
erkenntnis traf aber glücklicherweise zusammen
mit einer vom sanskrit her erregten vergleichenden
sprachwissenschaft, welche keiner sie nah
oder fern berührenden spracheigenthümlichkeit aus dem
wege gehend vor allen andern auch der einheimischen
das gebührende recht widerfahren zu lassen geneigt
sein muste, in welcher noch mehr als eine saite zu den
volleren klängen jener ehrwürdigen sprachmutter anschlug.
So hat sich unter mancherlei gunst und abgunst
allmälich eine deutsche philologie in bedeutenderem
umfang als je vorher gebildet, deren selbständige
ergebnisse vielfache frucht tragen, unabhängigen
werth behaupten und fortdauernde theilnahme in anspruch
nehmen können. früherhin liesz alles und jedes,
[vii]
was von den denkmälern unseres alterthums mühsam
gedruckt erschienen war, in ein paar folianten und
quartanten sich beisammen haben; jetzt stehn in den
bibliotheken ganze gefache von altdeutschen büchern
erfüllt und die verleger zagen nicht mehr vor dieser literatur.
wie viel noch übrig bleibe zu thun, ein rühmlicher
eifer regt sich alle lücken zu ergänzen und ungenügende
durch bessere ausgaben zu verdrängen.
nicht länger verschlossen liegen die quellen unserer
sprache und ihre bäche und ströme dürfen oft bis auf
die stelle zurückgeführt werden, wo sie zum erstenmal
vorgebrochen sind; fortan aber kann eine deutsche
grammatik, ein deutsches wörterbuch, die sich dieser
forschungen und aller daraus erwachsenen fordernisse
entäuszern, weder gelten noch irgend ersprieszlichen
dienst leisten.
Von an der oberfläche klebenden, nicht tiefer eingehenden
arbeiten beginnt heutzutage auch die ernstere
stimmung des volks sich loszusagen. aufgelegt
zum betrieb der naturwissenschaften, die den verstand
beschäftigen und mit einfachen mitteln, wenn sie recht
verwendet werden, das nützlichste ausrichten, wird
ihm auch sonst das unnütze und schlechte verleidet;
wozu ihm noch immer handbücher und auszüge unseres
gewaltigen sprachhortes und alten erbes vorlegen?,
die statt dafür einzunehmen davon ableiten und
nichts als schalen absud seiner kraft und fülle bieten,
aus dem keine nahrung und sättigung zu gewinnen
steht, als sei der unmittelbare zutritt verschlagen und die
eigne anschau verdeckt. Seit den befreiungskriegen ist
in allen edlen schichten der nation anhaltende und unvergehende
sehnsucht entsprungen nach den gütern, die
Deutschland einigen und nicht trennen, die uns allein
den stempel voller eigenheit aufzudrücken und zu wahren
im stande sind. der groszen zahl von zeitgenossen,
vor deren wachem auge die nächsten dreiszig jahre
darauf sich entrollten, bleibt unvergessen, wie hoch
in ihnen die hofnungen giengen, wie stolz und rein
die gedanken waren; wenn nach dem gewitter von
1848 rückschläge lang und schwerfällig die luft durchziehen,
können sprache und geschichte am herlichsten
ihre unerschöpfliche macht der beruhigung gewähren.
auch die kräfte der unendlichen natur zu
ergründen stillt und erhebt, doch ist nicht der mensch
selbst ihre edelste hervorbringung, sind nicht die blüten
seines geistes das höchste ziel? seiner dichter und
schriftsteller, nicht allein der heutigen auch der früher
dagewesenen will das volk nun besser als vorher
theilhaft werden und sie mit genieszen können; es ist
recht, dasz durch die wieder aufgethanen schleuszen
die flut des alterthums, so weit sie reiche, bis hin an
die gegenwart spüle. zur forschung über den verhalt
der alten, verschollenen sprache fühlen wenige sich
berufen, in der menge aber waltet das bedürfnis, der
trieb, die neugier, den gesamten umfang und alle mittel
unsrer lebendigen, nicht der zerlegten und aufgelösten
sprache kennen zu lernen. die grammatik ihrer
natur nach ist für gelehrte, ziel und bestimmung des
allen leuten dienenden wörterbuchs, wie hernach noch
entfaltet werden soll, sind neben einer gelehrten und
begeisterten grundlage nothwendig auch im edelsten
sinne practisch.
[viii]
Durch warme theilnahme des volks allein ist die erscheinung
dieses deutschen wörterbuchs möglich und
sicher geworden, das also im auffallenden gegensatz
steht zu den wörterbüchern anderer landessprachen,
die von gelehrten gesellschaften ausgegangen auf öffentliche
kosten an das licht getreten sind, wie es in
Frankreich, Spanien, Dänemark geschah; heute befaszt
zu Stockholm die vitterhets academie sich mit einem
schwedischen. ein solcher verein der mitarbeiter ist
nach verschiedenheit der völker anders zu beurtheilen:
wo durch verfeinerung des geselligen lebens die sprache
überall bestimmt war gleich der französischen, konnte
sie fast nur auf diesem wege ihren weltton finden und
niedersetzen; das dictionnaire de l'académie hat ihn
zum wenigsten für eine reihe von geschlechtern angegeben,
später einmal wird man seinen unerträglichen
zwang brechen, dem wahren begrif eines wörterbuchs
stand es von anfang an fremd. anderwärts verschwinden
aber die vortheile einer gesellschaftlichen bearbeitung
vor den hemmungen und gebrechen, die sie
heranführt: mitten aus dem fleisz und der einigkeit
können vorwände der trägheit und des zwistes entspringen.
zunächst läge nun, alle eigentliche last und
bürde der arbeit in eines oder weniger hände zu geben,
die dazu den wahren beruf in sich tragen. dann aber
könnte sie ebenwol unabhängig auszerhalb dem kreise
der gesellschaft sich entwickeln, diese nur den aufwand
der geldmittel ganz oder zum theil bestreiten und so
läszt sich allerdings die mitwirkung eines gelehrten
verbands an dem wörterbuch, dessen spitze er vertretend
schützte, förderlich denken. Doch in Deutschland
haben bei dem geringen ansehen, dessen, wie vorhin
gesagt wurde, die eigne sprache genosz, unsere vorwaltend
classische und orientalische philologie, naturwissenschaft
und geschichte hegenden academien niemals
weder dem entwurf eines neuen, noch der hut und
unterstützung eines in arbeit begriffenen deutschen
wörterbuchs ihre aufmerksamkeit zugewandt. von
Dasypodius und Pictorius
an bis auf Adelung und Campe
herunter sind alle unsere wörterbücher überhaupt ohne
irgend eine öffentliche anregung oder beisteuer gedruckt
worden und, was röthe in die wangen jagt, die herausgabe
der einheimischen sprachdenkmäler hat, einzelne
ruhmwürdige ausnahmen abgerechnet, meistens nur
mit ärmlichen mitteln, durch halb unwillige verleger,
fast ohne lohn für die herausgeber bewerkstelligt werden
müssen. Wie vaterländisch gewesen wäre sie insgesamt
in groszartigen schutz zu nehmen und ihnen
vollständige bekanntmachung im angesicht des volks.
angedeihen zu lassen, dem es nicht entgehen kann,
welche pflege dafür ausländischem alterthum und fremden
sprachen unter uns zu theil geworden ist.
Ich wollte auch den wust und unflat unsrer schimpflichen
die gliedmaszen der sprache ungefüg verhüllenden
und entstellenden schreibweise ausfegen, ja dasz
ich dafür den rechten augenblick gekommen wähnte,
war einer der hauptgründe mich zur übernahme des
wörterbuchs zu bestimmen, dessen ganze ordnung fast
an jeder stelle durch das beibehalten der unter uns
hergebrachten orthographie sichtbar gestört und getrübt
werden muste. es ist nichts kleines, sondern
etwas groszes und in vielen dingen nützes seine sprache
[ix]
richtig zu schreiben. das deutsche volk hängt aber so
zäh und unberaten an dem verhärteten schlimmen misbrauch,
dasz es eher lebendige und wirksame rechte, als
von seinen untaugenden buchstaben das geringste fahren
liesze, unmittelbar mit dem ersten eindruck, den ein
neu auftretendes wörterbuch hervor zu bringen im
stande wäre, mit dem einflusz, den es allmälich üben
könnte, schien es am schicklichsten zugleich die längst
reife neuerung, vielmehr zurückführung der schreibregel
auf ihre alte einfachheit zu verbinden; in der bewegung
der zeit selbst hätte diese abkehr und wendung
von dem bloszen schlendrian der letzten, nicht
der früheren jahrhunderte minderes aufsehen erregt
und sich unvermerkt den beifall oder die gewöhnung
der menge gewonnen. Als aber sonst überall in die
jüngst verlassenen gleise zurück geschoben wurde,
leuchtete ein dasz es nun unmöglich gewesen wäre
hier in die ältesten wieder einzulenken; was geschehen
konnte, war eine nur theilweise zu versuchende
abhülfe und linderung des hervorstechendsten übels.
welche wahl im einzelnen zu treffen sei, welche mittel
einzuschlagen ratsam, darüber muste nothwendig
die ansicht hin und her schwanken und diese unschlüssigkeit
ist es eben, die in den letzten jahren längeren
aufschub des wörterbuchs verursachte: rechtfertigung
aber der unabweisbar gebliebnen, jedermann ins auge
fallenden abweichungen von dem seitherigen schreibgebrauch
wird nachher folgen.
Dies alles vorausgesandt kann in die einzeln sich erhebenden
betrachtungen eingeschritten werden.
1. Wörterbuch ist die
alphabetische verzeichnung der
wörter einer sprache. sein begrif gründet wesentliche
und durchdringende gegensätze zwischen alter und
neuer zeit.
Den ausdruck wörterbuch kannte das siebzehnte
jahrhundert noch nicht, Stieler weisz nichts davon,
zuerst meines wissens verwendet ihn
Kramer (1719)
nach dem nnl. woordenboek, Steinbach und Frisch behielten
und führten ihn allgemein ein; von uns gelangte
er zu Schweden und Dänen, die doch ordbok, ordbog
sagen, das isländische orðabôk enthält wie wörterbuch
den gen. pl. und gemeint ist auch ein buch der wörter,
kein wortbuch. schöner ist das ohne zusammensetzung
gebildete slavische slovar, slovnik, den Südslaven
rjetschnik, von slovo, rjetsch wort, und warum
hätte nicht auch ahd. wortâri, mhd. wortære sich sagen
lassen, wie es hiesz ehirâri, eherære spicarium für
einen sehr analogen begrif? das gr. ῥηματικόν
(nemlich βιβλίον) entspräche dem heutigen sinn, wurde aber
von den alten nicht so gebraucht.
Griechen und Römer hatten keine vorstellung von
einem wörterbuch, und die in ihren sprachen später
üblichen benennungen lexicon, glossarium, dictionarium,
vocabularium meinen anderes. das λεξικόν
(βιβλίον) von λέξις, das dictionarium von dictio stellt redensarten,
ausdrücke zusammen, das γλωσσάριον
deutet alte, verdunkelte wörter, enthält glossen, das vocabular
will nur wenige wörter geben, wie sie für schüler
oder zu anderm behuf gesammelt wurden. richtig
nennen z. b. Ducange
und Oberlin
ihre werke glossare,
die französischen academiker ihre getroffene auswahl
[x]
dictionnaire; doch einzelne einem herausgegebnen
schriftsteller angehängte register sollten nicht wörterbücher
heiszen. gelangen einmal die Franzosen zu
einem vollständigen wörterbuch ihrer sprache, so werden
sie ihm wol einen andern namen beilegen als den
eines dictionnaire oder lexique. häufig hat man auch
den umfassenden begrif angemessen durch den titel von
thesaurus, tesoro, trésor, sprachschatz, oder durch beifügung
eines adj. (totius latinitatis lexicon) eingeholt.
Den alten selbst fiel gar nicht ein, alle und jede wörter
ihrer sprache, geschweige der ihrer barbarischen
nachbarn zu sammeln, es reizte sie blosz einzelne
schichten oder wortreihen erklärend zu mustern, gewisse
grammatische bildungsgesetze in ihnen zu verfolgen,
oder dunkle, vergessene ausdrücke aufzuhellen. ihre
etymologie, zuweilen sinnreich oder gelehrt, war meistentheils
regellos und unwissenschaftlich. weder hätte
das stärkste gedächtnis alle ausdrücke, die bei den
Griechen ohnehin einer unendlichen fortbildung offenstanden,
fassen und bereit halten, noch wenn dies durch
die anstrengung mehrerer zusammen allmälich zu erreichen
gewesen wäre, damit ein denkbarer zweck erfüllt
werden können. was sollte die angehäufte wortmasse,
die niemand zu lesen begehrte, und nur schwierige,
kostspielige abschriften in umlauf zu bringen vermochten?
Griechen wie Römer ahnten noch nichts
von sprachvergleichung und spürten lust dazu in keiner
ader, sonst würden auf diesem felde die wunderbarsten
entdeckungen ihnen offen gestanden haben.
Dies geändert, wie alle wissenschaften umgestaltet
hat erst die grosze erfindung der druckerei, deren folgen
auch noch heute, gleich denen der dampfkraft, unberechenbar
erscheinen. wie der uralte fund der schrift
zuerst den menschen in stand setzte, den geistigsten
gebrauch von seiner hand zu machen, ihm die macht
verlieh, seine gedanken zu versenden und der nachwelt
zu überliefern; hat die vervielfältigung der schrift
im druck diese macht verzehnfacht. ohne diese entdeckung
wären unmittelbar darauf schon die wiedererweckung
der classischen literatur und die reformation
unmöglich gewesen, wenn unternommen, nicht
gediehen. Seitdem schriften gedruckt und aller enden
gelesen werden, sind wörterbücher entsprungen und
der sprachwissenschaft ganz neue bahnen gesprengt
worden, nicht auf einmal, sondern nach und nach,
anfangs zufällig, dann im bewusteren fortschritt: man
gewahrte endlich was die volle aufstellung der sprachen
bedeute und wirken könne. durch die philologische
richtung der heutigen missionare und die geregelte
mittheilbarkeit ihrer samlungen wird das sprachstudium
dereinst solche stärke erlangen, dasz es oft
den abgang und verlust geschichtlicher denkmale mit
dem reichthum und der schärfe seiner combination zu
ersetzen vermag: vorgeschmack davon haben wir schon
im kleinen. Bei dieser neuen philologie stehen aber
alle zungen des erdbodens in demselben recht, und
verachtet werden darf keine, ganz wie ins wörterbuch
alle wörter gehören und gleich berechtigt darin sind.
streben nach umfassender samlung und behandlung ist
also für ein wörterbuch das erste erfordernis und die
allseitigkeit seines gebrauchs dadurch bedingt. denn
was die presse von sich gibt, will sie allen ohne ausnahme
[xi]
bestimmt haben, was allen dienen soll und kann,
darf nichts ausschlieszen noch dahinten lassen.
Nicht minder nothwendig ist dem wörterbuch die
alphabetische ordnung und sowol die möglichkeit des
vollen eintrags und der abfassung als die sicherheit und
schnelle des gebrauchs hängen davon ab. wer reiche
beiträge einschalten will, musz die stelle wohin vor
augen haben und nicht unschlüssig herum zu suchen,
ob das wort schon da sei oder fehle: die biene weisz
genau die zelle, zu welcher sie honig einträgt. es würde
die arbeit in den wörtern aufheben oder lähmen, wenn
man den platz nicht kennt, aus dem sie zu holen sind.
schon ihren eingeschränkten samlungen pflegten die
alten diese alphabetfolge zum grunde zu legen und wer
sie heute nicht handhabt, sondern aufhebt und stört,
hat sich an der philologie versündigt.
Zwar einzelne alphabete sind verschieden eingerichtet
und lassen nicht von ihrem gewohnten gang. das
sanskrit folgt einer aus seiner fülle und lauterkeit hervorgehenden
natürlichen anordnung der buchstaben, die
aber auf unvollkommner entfaltete sprachen schwer anzuwenden
ist, in europäischen wörterbüchern eher verwirrung
als licht bringt. an die abweichung der griechischen
und hebräischen alphabete vom lateinischen, welche
doch alle drei auf demselben boden entsprossen sind,
gewöhnen wir uns von jugend; es ist aber kein bedürfnis
den gedächtnissen auch die eigenheit des runischen
und gothischen aufzubürden, dasz sie ihnen
jeden augenblick gegenwärtig sei. werden danach nicht
nur die anlaute, sondern auch die inlaute geordnet, so
musz man zeit verschwenden oder läuft bei raschem
aufschlage gefahr ab zu irren und zu übersehen. jedermann
weisz es, wie viel beschwer in slavischen wörterbüchern
die manigfaltigkeit einiger bezeichnungen
auch für die alphabetische folge macht, wie lästig bei
dem scandinavischen å ä ö ihr schwankendes einstellen
oder verweisen an den schlusz wird. Nesselmann und
Ettmüller
haben den gebrauch ihrer littauischen und
angelsächsischen wörterbücher durch annahme grammatischer
lautreihen, die ihnen selbst geläufig, andern
aber unbequem sind, äuszerst erschwert. die deutsche
sprache kann bevor ihre orthographie gereinigt wird,
das wörterbuch nicht befriedigend einrichten und ein
mangel des gegenwärtigen bleiben musz es, dasz diesem
gebrechen noch nicht abgeholfen werden durfte.
Verderblicher den zwecken und absichten des wörterbuchs
entgegen wirkt aber keine unter allen ordnungen,
als die nach wurzeln, denen unmittelbar das
abgeleitete und zusammengesetzte wort angeschlossen
zu werden pflegt; selbst beim entwurf kleiner glossare
und wortregister wird dem kitzel nicht widerstanden,
alsogleich zu systematisieren und der grammatik
was ihr gehört vorweg zu nehmen. der etymologie
auch im wörterbuch nachzuhängen ist natürlich und
unvermeidlich, da sie aber in fortschreitender bewegung
begriffen die kunde der wurzeln allenthalben erweitert
und ermäszigt, darf die folge der wörter nicht
durch sie getrübt werden, jeder etymologischen auskunft
auf dem fusze hätten sonst abänderungen einzutreten
und in den wörterbüchern wäre kein wort
mehr seines platzes sicher. ein so willkommnes, verdienstvolles
werk wie Benecke
s mittelhochdeutsches
[xii]
wörterbuch kann in dieser hinsicht verfehlt heiszen:
sein urheber hielt es mit der würde unserer sprache
für unvereinbar anders zu verfahren, durch vorschieben
sei es der wahren oder vermeinten wurzel rückt
er den ausdruck, welchem nachgefragt wird, aus des
aufschlagenden auge. Nesselmann und Ettmüller, auszer
der gerügten lautordnung, versetzen die einzelnen
wörter dazu noch nach wurzeln. man kann, sobald
andere wörterbücher bestehn, mit nutzen auch
wurzelforschungen alphabetisch anordnen und besonders
herausgeben, wie wir Miklosich verschiedne bücher,
radices und ein lexicon verdanken oder Rosen
die sanskritwurzeln eigens zusammenstellte. alphabetische
folge allein, möchte man sagen, sichert den einzelnen
wörtern ihre vorläufige unabhängigkeit und neutralität,
die nicht vor abschlusz auszerhalb des wörterbuchs
zu vollbringender untersuchungen preisgegeben
werden soll.
2. Was ist eines
wörterbuchs zweck? nach seiner
umfassenden allgemeinheit kann ihm nur ein groszes,
weites ziel gesteckt sein.
Es soll ein heiligthum der sprache gründen, ihren
ganzen schatz bewahren, allen zu ihm den eingang offen
halten. das niedergelegte gut wächst wie die wabe
und wird ein hehres denkmal des volks, dessen vergangenheit
und gegenwart in ihm sich verknüpfen.
Die sprache ist allen bekannt und ein geheimnis. wie
sie den gelehrten mächtig anzieht, hat sie auch der
menge natürliche lust und neigung eingepflanzt. 'wie
heiszt doch das wort, dessen ich mich nicht mehr recht
erinnern kann?' 'der mann führt ein seltsames wort im
munde, was mag es eigentlich sagen wollen?' 'zu dem
ausdruck musz noch es bessere beispiele geben, lasz uns
nachschlagen.'
Diese neigung kommt dem verständnis auf halbem
wege entgegen. das wörterbuch braucht gar nicht nach
platter deutlichkeit zu ringen und kann sich ruhig alles
üblichen geräths bedienen, dessen die wissenschaft so
wenig als das handwerk entbehrt und der leser bringt
das geschick dazu mit oder erwirbt sichs ohne mühe.
fragst du den schuster, den becker um etwas, er antwortet
dir auch mit seinen wörtern und es bedarf wenig
oder keiner deutung.
Auch ist gar keine noth, dasz allen alles verständlich,
dasz jedem jedes wort erklärt sei, er gehe an dem unverstandnen
vorüber und wird es das nächstemal vielleicht
fassen. nenne man ein gutes buch, dessen verständnis
leicht wäre und nicht einen unergründlichen hintergrund
hätte. das wörterbuch insgemein führt so
schweren stof mit sich, dasz die gelehrtesten bei manchem
verstummen oder noch nicht rechten bescheid
wissen. auf zahllosen stufen dürfen auch die andern
leser bei seite lassen, was ihres vermögens nicht ist,
in ihren gesichtskreis nicht fällt oder was selbst sie abstöszt.
leser jedes standes und alters sollen auf den
unabsehbaren strecken der sprache nach bienenweise
nur in die kräuter und blumen sich niederlassen, zu
denen ihr hang sie führt und die ihnen behagen.
Einen haufen bücher mit übelerfundenen titeln gibt
es, die hausieren gehn und das bunteste und unverdaulichste
gemisch des manigfalten wissens feil tragen.
fände bei den leuten die einfache kost der heimischen
[xiii]
sprache eingang, so könnte das wörterbuch zum hausbedarf,
und mit verlangen, oft mit andacht gelesen werden.
warum sollte sich nicht der vater ein paar wörter
ausheben und sie abends mit den knaben durchgehend
zugleich ihre sprachgabe prüfen und die eigne
anfrischen? die mutter würde gern zuhören. frauen,
mit ihrem gesunden mutterwitz und im gedächtnis gute
sprüche bewahrend, tragen oft wahre begierde ihr unverdorbnes
sprachgefühl zu üben, vor die kisten und
kasten zu treten, aus denen wie gefaltete leinwand lautere
wörter ihnen entgegen quellen: ein wort, ein reim
führt dann auf andere und sie kehren öfter zurück und
heben den deckel von neuem. man darf nur nicht die
fesselnde gewalt eines nachhaltigen füllhorns, wie man
das wörterbuch zu nennen pflegt, und den dienst, den
es thut vergleichen mit dem ärmlichen eines dürren
handlexicons, das ein paarmal im jahr aus dem staub
unter der bank hervor gelangt wird, um den streit zu
schlichten, welche von zwei schlechten schreibungen
den vorzug verdiene oder die steife verdeutschung eines
geläufigen fremden ausdrucks aufzutreiben.
Wer mag berechnen, welchen nutzen das wörterbuch
dadurch stiftet, dasz es unvermerkt gegenüber
denen, die sich mit fremden sprachen brüsten, eine
lebhaftere empfindung für den werth, häufig die überlegenheit
der eigenen einflöszt, und die vorlage anschaulicher
beispiele, ganz abgesehn von dem, was sie
beweisen sollen, liebe zu der einheimischen literatur
stärker weckt. im hohen alterthum half dem gedächtnis
das hersagen gebundner lieder und bewahrte
damit zugleich auch die sprache. bei völkern, die keine
oder eine dürftige literatur erzeugten, musten sprachformen,
wörter und ausdrucksweisen aus mangel an
wiederholung in vergessenheit sinken; den verfall reichgewesener
sprachen in arme mundarten lehrt ein solcher
abgang lebendiger übung begreifen. den glanz
der alten sprachen haben dichtkunst und werke des
geistes empor getragen und erhalten; wesentlich scheinen
die wörterbücher auf gesicherte dauer der neueren
sprachen einzuwirken, ein grund mehr ihnen vorschub
zu leisten. schützen sie nicht alle wörter, so halten
sie doch die mehrzahl aufrecht; wenige leser eines
wörterbuchs werden in abrede stellen, wie viel einzelnes
sie ihm zu danken haben. die lebendigste überlieferung
erfolgt freilich von munde zu munde und nach
verschiedenheit der landschaften ist ein menschenschlag
rühriger und sprachgewandter als der andere. durch
ausgestreuten samen können aber auch verödete fluren
wieder urbar werden.
Sprachforschung wird durch jedwede den denkmälern
zugewandte aufmerksamkeit und sorgfalt gefördert
und ergeht sich auf unermeszlichem felde, es scheint
sogar, je mehr sie sich alle ihre mittel selbst bereite
und zutrage, dasz sie desto eigenthümlicher auftreten
möge. doch unverhältnismäszig den gröszten beistand
gewährt ihr das wörterbuch, von dem an genau bestimmter
stelle alle wörter in so geordnetem überblick
dargeboten werden, wie ihn jener noch unbeholfne
fleisz, und sei es der unermüdlichste, nimmer zu wege
bringt. das wörterbuch gleicht einem gerüsteten schlagfertigen
heer, mit welchem wunder ausgerichtet werden
und wogegen die ausgesuchteste streitkraft im ein-
[xiv]
zelnen nichts vermag. ich habe dies an meinem beispiel
selbst erfahren, als ich die alte grammatik noch
ohne beistand eines wörterbuchs aufzubauen trachtete
und gewahre jetzt bei voller und alphabetischer ausarbeitung
der neuen sprache, wie allein durch festgehaltnen
schritt und regelmäszigen gang die abgelegensten
stellen erreicht und besetzt werden, an denen
sonst vorüber gegangen würde. einem uhrwerke
gleich läszt sich das wörterbuch für den gebrauch des
gemeinen mannes nur mit derselben genauigkeit einrichten,
die auch der astronom begehrt, und wenn es
überhaupt nutzen soll, gibt es kein anderes als ein wissenschaftliches.
3. Bisher sind begrif und
bedeutung eines wörterbuchs
in so allgemeiner weise erwogen worden, dasz
die ergebnisse auf alle sprachen anwendbar scheinen;
jetzt soll die frage aufgeworfen werden nach einem
deutschen wörterbuch.
Sein gebiet und umfang folgen aus dem der deutschen
sprache selbst. obwol nun mit dieser benennung
treffend alle stammverwandten, auf unsere þiuda
bezüglichen und ihr angehörigen sprachen ausgezeichnet
werden können, schicklicher als mit dem uns aus
der fremde her zugegangnen namen der germanischen
(wie denn auch der eingeführte ausdruck indogermanische
sprachen vollends unpassend erscheint); so
pflegt dennoch die vorstellung sich zu verengen. man
scheidet von der deutschen sprache zuvorderst sowol
den alten gothischen stamm aus, als den nordischen
oder scandinavischen, so dasz gleichwol die friesische,
niederländische, altsächsische und angelsächsische noch
der deutschen sprache in engerm sinn zufallen, wie
denn auch Friesen, Niederländer und selbst Engländer
bis auf heute ein deutsches element sich beilegen. im
engsten sinn aber schränkt sich der name auf die politisch
vereint gebliebnen Deutschen ein, wie sie den Franzosen
Allemands heiszen, was nicht mehr auf Niederländer
oder Engländer erstreckbar ist. dem zuerst von
den Römern aufgebrachten unterschied einer Germania
superior und inferior entspricht nur einigermaszen die
sonderung in Hochdeutsche und Niederdeutsche, welchen
beiden auf die ehrenvolle benennung der Deutschen
gleicher anspruch zusteht.
Zwischen hochdeutscher und niederdeutscher sprache
macht einen wesentlichen unterschied die lautverschiebung,
dergestalt dasz in diesem bezug die niederdeutsche
allen vorhin ausgeschlossenen zungen beitritt,
die hochdeutsche von jeder derselben absteht. ganz
wie die Gothen, Scandinaven, Friesen, Sachsen gegenüber
den uns ferner liegenden dennoch urverwandten
sprachen die lautreihe ihrer stummen consonanten verschoben,
gerade so verschieben nochmals gegenüber
diesen andern Deutschen die Hochdeutschen. die niederdeutsche
mundart, in vielen andern hinsichten der
hochdeutschen sehr nahe tretend, entfernt auffallend
sich von ihr durch diese lautverschiebung und bleibt
dem älteren gleise treu, aus welchem die hochdeutsche,
sicher doch nicht ohne zureichenden grund gewichen
war, da das zweite lautverschieben dem ersten vollkommen
analog erfolgte und durch es ein tiefer, innerer
sprachtrieb erst seine befriedigung empfieng. weil nun
aber um vieler zusammentreffender ursachen willen
[xv]
eben dieser character der zweiten verschiebung, d. h.
der hochdeutsche unter uns in literatur wie dichtkunst
der herschende, tonangebende ward, gebührt ihm in
vorwaltendem sinn der name des deutschen, und wenn
heutzutage im gegensatz zu französischer, italienischer,
englischer von deutscher sprache die rede ist, kann
darunter nicht mehr die niederdeutsche mundart verstanden
werden.
Diese jetzt allgeläufigen, für unsere grammatik entscheidenden
verhältnisse hindern, wie jedermann einsieht,
niederdeutsche wörter in ein deutsches wörterbuch
aufzunehmen; sie würden sich eher in ein niederländisches,
englisches oder gar dänisches fügen.
deep läszt sich nicht stellen neben tief, dal, dag nicht
neben thal, tag und to, tunge nicht neben zu, zunge;
ebenso abweichend von einander sind, wenn auch die
anlaute treffen, die in- und auslaute: gripen greifen,
maken machen, meten messen, up auf, slaap schlaf,
ik ich, rik reich, dat das, bet bis, kort kurz. wo sich
die stummen anlaute begegnen, ist auf der einen oder
andern seite der organismus verletzt, z. b. in deef dieb
das niederdeutsche d aus th entsprungen, wie engl. thief
lehrt, oder in breit breed unser b an die stelle von
p getreten. nicht weniger weichen auch die vocale
in den meisten fällen ab. unausführbar wäre, alle
diese wörter an der hochdeutschen stelle, oder an verschiednen
doppelt einzutragen, der hochdeutsche grund
würde ganz davon gestört und getrübt werden und wie
sollte man es mit solchen ausdrücken halten, die der
niederdeutschen mundart ausschlieszlich eigen, unsrer
hochdeutschen fremd geblieben sind? Aus allem diesem
hüte man sich ein ungünstiges urtheil über die
niederdeutsche sprache oder ihre lautverhältnisse zu
ziehen, die nicht selten reiner und dem höhern alterthum
gemäszer sind, als die hochdeutschen. dasz sie
dem dichter sich immer noch nicht versage, haben
mehrfache versuche, so eben noch Groths quikborn
dargethan. Sie bedarf eines eignen, selbständigen wörterbuchs,
wie es ein ausgezeichneter kenner niederdeutscher
mundarten, Kosegarten zu Greifswald verheiszen
und bereitet hat, für welches Köne in Münster,
Woeste
in Iserlohn wichtige beiträge liefern könnten.
überhaupt aber ist die ganze art und weise dieser sprache
doch nur idiotisch, den rang oder die wirkung einer
lebendigen schriftsprache darf sie nicht mehr ansprechen,
seit das hochdeutsche überall in ihre heimat vorgedrungen
und auch mit der gegenwärtigen bildung
des niederdeutschen volks unzertrennlich schon verwachsen
ist. Eine andere richtung gewonnen hätte
offenbar das niederdeutsche, wenn es mit dem unmittelbar
angrenzenden niederländischen näher zusammen
gegangen wäre, was auch diesem zu groszem vortheil
ausgeschlagen sein würde. eine solchergestalt vom
nordmeer an durch ganz Niederland erstreckte, am Niederrhein,
an Weser und Elbe herschende, längs der
ostseeküste bis nach Livland reichende fast gleichartig
beschaffene sprache hätte dann der hochdeutschen das
gegengewicht halten und die grundlage einer bedeutsamen
literatur abgeben können, die sich jetzt nur in
den Niederlanden wahrhaft erzeugt und verfeinert hat.
es versteht sich beinahe von selbst, dasz das deutsche
wörterbuch unter allen auszerhalb seinem gebiet liegenden
[xvi]
sprachen zu allernächst auf diese niederländische
sein augenmerk richten muste, die bereits im
mittelalter dem mittelhochdeutsch zur seite tritt und
bis auf heute manche uns vorenthalten gebliebne gunst
erfahren hat, auch in einzelnen lauteigenheiten, zumal
des vocalismus von dem übrigen niederdeutsch abgeht
und sich hochdeutscher weise nähert.
Deutsch ist demnach nichts als hochdeutsch, wie es
von frühster zeit an vorzugsweise zur seite der überrheinischen
Franken sich hervorthat unter den Alamannen
(was den uns dort zu theil gewordnen allgemeinen
namen erklärt und rechtfertigt), unter den Baiern,
Thüringen, Hessen, so wie den diesseitigen Franken,
und insgemein das merkmal der zweiten lautverschiebung
an sich trägt. bei dem worte hochdeutsch
selbst sollen nähere stellen über sein erstes vorkommen
und den sinn, den man mit einem 'höher reden
und schreiben' des deutschen verband, mitgetheilt werden.
die gesamte althochdeutsche und mittelhochdeutsche
dichtung und sprache ist wesentlich alemannisch
(hier gleichviel mit schwäbisch), bairisch und fränkisch,
welche drei nationen im reich vorangehen und erst allmälich,
mit noch sichtbarem sträuben, die später bekehrten
Sachsen zur theilnahme lassen, was nicht einmal
durch die ruhmvolle zeit der sächsischen könige
ausgeglichen wurde. Wie nun bei den Niederdeutschen
die sächsische, westfälische und engrische mundart und
noch manch andrer bestandtheil unterschieden werden
musz; sticht auch unter den Hochdeutschen die schwäbische
von der bairischöstreichischen, rheinfränkischen
und hessischthüringischen ab, doch so, dasz die denkmäler
der letzteren gegenüber den schwäbischbairischen
nur arm erscheinen und erst seit dem dreizehnten
jahrhundert sich zu erzeigen beginnen. nur musz man
sich enthalten für diesen zwar noch hochdeutschen, aber
einzelne übergänge zu dem anstoszenden sächsischen
kundgebenden dialect die benennung mitteldeutsch zu
verwenden, da sie sich mit dem mittelhochdeutsch verwirrt,
und gar kein bedürfnis obwaltet, die hinreichenden
örtlichen namen noch als ein oberdeutsch, süddeutsch,
westdeutsch oder mitteldeutsch zu bezeichnen.
wichtigste eigenheit dieses dialects, der sich aus
Hessen und Thüringen, so viel gewiesen worden ist,
durch Meiszen, Schlesien und die Lausitz in die an der
ostsee bis nach Preuszen geschriebne sprache (denn die
volkssprache ist dort niederdeutsch) fortzieht, tritt hervor
an einer nachtheiligen verengung der reinhochdeutschen
diphthonge, welche sich dem niederdeutschen
lautsystem nähert. Da nun Luther, dessen geistige
handhabung der deutschen sprache so mächtigen einflusz
gewann, aus Thüringen gebürtig war, und seit
der reformation die kraft der deutschen bildung aus
Östreich und Baiern (weniger aus Schwaben und dem
südwesten) weg, nach der mitte und dem norden
Deutschlands zog, so erklärt sich hierdurch nicht nur
die unmöglichkeit für die niederdeutsche mundart, sich
als geistige schriftsprache zu behaupten, sondern auch
das herabsinken der bairischöstreichischen zum roh
werdenden volksdialect, während die schwäbischschweizerische
natur sich ungleich länger in poesie
und literatur aufrecht erhielt. offenbar auch stimmt
jene weichheit der thüringischen mundart und die abwesenheit
[xvii]
reinhochdeutscher diphthonge aus ihr zu
den meisten eigenheiten der lutherischen sprache, die
darum auch in Norddeutschland leichteren eingang
fand. Will man weiter gehn, so kann zugestanden werden,
dasz manche verfeinerung des hochdeutschen damit
zusammenhängt, dasz Obersachsen wiege und
hauptsitz der reformation war, und hat
Adelung grund
den meisznischen dialect zu erheben, so musz er hierin
gesucht werden. bemerkenswerth lautet schon eine
stelle in Conrad
Gesners vorrede zu
Pictorius: sunt
qui tractui circa Lipsiam elegantioris sermonis, quo
Lutherus etiam libros suos condiderit, primas deferant;
die allgemeine roheit des 17 jh. hat durchweg in ganz
Deutschland gute spracheigenheiten verwischt und ausgetilgt.
damals übten blosz die schlesischen dichter
und Fleming,
zuletzt auch Christian Weise einen besseren einflusz,
woran unmittelbar im folgenden jh. Gellert und Rabener
sich schlieszen; ein weit tieferer
und zu gröszerem heil ist hernach, mit völliger wiederaufhebung
des obersächsischen tons, von Lessing und Klopstock,
dann aber von Wieland
, Schiller
und
Göthe
ausgegangen. kein einziger schriftsteller in Östreich
und Baiern hat in diesen beiden jahrhunderten
bedeutung, denn wer wollte Balde (dazu einen gebornen
Elsäszer) oder Megerle
anschlagen?
Fürs deutsche wörterbuch behauptet die kenntnis
aller hochdeutschen volksmundarten hohen werth, und
ich musz sogleich zum lobe der Baiern hinzusetzen,
dasz kein andrer unsrer stämme ein wörterbuch aufzuweisen
hat, das dem von Schmeller
irgend gleichkäme,
so meisterhaft ist hier die sprache selbst und
ihr lebendiger zusammenhang mit sitten und bräuchen
dargestellt, und doch hat der letzte band bedauerliche
kürzung erfahren, weil der verleger bedenken trug das
volle werk fertig zu drucken; möge jetzt von des verfassers
hinterlassenschaft, worunter sich auch zur zweiten
ausgabe des wörterbuchs der reichste stof ausgearbeitet
findet, nichts vorenthalten werden. Stalders schweizerisches idioticon würde eine trefliche arbeit
heiszen, wäre nicht die von Schmeller ihr nachgefolgt,
mit dessen gelehrsamkeit und sprachtalent der
Luzerner sich eben so wenig messen darf, als an reichthum
und gehalt die bairische volkssprache mit der
schweizerischen. diese ist mehr als bloszer dialect,
wie es schon aus der freiheit des volks sich begreifen
läszt; noch nie hat sie sich des rechtes begeben selbständig
aufzutreten und in die schriftsprache einzuflieszen,
die freilich aus dem übrigen Deutschland mächtiger
zu ihr vordringt. von jeher sind aus der Schweiz
wirksame bücher hervor gegangen, denen ein theil ihres
reizes schwände, wenn die leisere oder stärkere
zuthat aus der heimischen sprache fehlte; einem lebenden
schriftsteller, bei dem sie entschieden vorwaltet,
Jeremias Gotthelf (Bitzius
) kommen an sprachgewalt
und eindruck in der lesewelt heute wenig andre gleich.
in den folgenden bänden des wörterbuchs wird man
ihn öfter zugezogen finden und es ist zu wünschen, dasz
seine kräftige ausdrucksweise dadurch weitere verbreitung
erlange. auch der elsäszischen, alemannischen
oder schwäbischen volkssprache, wie vorzüglich
Hebel dargethan hat, steht des lieblichen und wolgefälligen
noch viel zu gebot. von allen diesen volksmundarten
[xviii]
kann jedoch nicht unmittelbar, das heiszt ohne ausgleichung
ihres abstandes im laut, mit dem oft auch
ein theil ihrer anmut vergeht, erborgt werden.
4. Wir haben
gesehen, welche einschränkung dem
raume nach der begrif eines deutschen wörterbuchs
erleidet; fragt es sich, wie ihm in der zeit seine grenze
zu stecken sei?
Die hochdeutsche sprache zerfällt in drei perioden.
zur althochdeutschen rechnen wir ihre frühsten denkmäler
ungefähr vom siebenten bis zum eilften jahrhundert,
zur mittelhochdeutschen die vom zwölften bis in
die mitte des funfzehnten; es ist nothwendig beide untereinander
wie von dem neuhochdeutschen zu sondern,
weil die formen der althochdeutschen sprache voller und
edler als die der mittelhochdeutschen sind, diese aber an
reinheit die unsrigen weit übertreffen. blosz der übergang
vom alt- zum mittelhochdeutschen kann hin und
wieder schwanken und zweifelhaft sein. durch
Schades entdeckungen lernen wir jetzt viele strophische gedichte
kennen, deren einiger erste abfassung vielleicht
noch über das zwölfte jahrhundert hinaus in das eilfte
zu setzen ist; jedenfalls füllt sich, wie schon aus andern
gründen zu entnehmen war, die im eilften bisher
angenommene leere allmälich aus. Dasz bald nach
1450 mit erfindung der druckerei eine neue welt in
den wissenschaften anhebt, bedarf keiner ausführung.
erst mit dem jahr 1500, oder noch etwas später mit
Luther
s auftritt den nhd. zeitraum anzuheben ist unzulässig,
und schriftsteller wie Steinhöwel, Albrecht von Eib,
Niclas von Wile, ja KEISERSBERG, Pauli und
Brant,
die doch schon ganz seine farbe tragen, würden
ihm damit entzogen. seit LUTHER
steigt nur die
fülle und freiere behandlung der literatur.
Auf ahd. ja auf gothische sprache muste im wörterbuch
oft zurück gegangen werden, um der ältesten und
vollendetesten gestalt eines ausdrucks habhaft zu werden.
noch häufiger ist, und meist wegen lebendigkeit
der redensarten, mhd. beispielen raum gegönnt worden,
manchen leser könnte ihrer allzuviel bedünken. vielleicht
wären weniger stellen angezogen worden, wenn
allenthalben schon das mhd. wörterbuch vorgelegen
hätte; gegenwärtig, da noch dessen gröszerer theil
abgeht, in der ungewisheit ob es einen treffenden beleg,
wie er mir zu gebot stand, bringen werde oder
nicht, zog ich vor ihn einzurücken. in der folge sollen
die mhd. anführungen eher sich mindern als mehren;
bei der anordnung des beneckischen wörterbuchs
bekommt man viele wörter nicht zu sehen, bevor
die reihe ihren stamm treffen wird, und an weiter
hinaus schiebenden verweisungen ist kein mangel. die
die letzten buchstaben ausarbeiten, werden ihre last
bekommen. wie noth mhd. beispiele thun, sah zuweilen
schon Adelung, ahd. gibt er selten, gothische nie.
Die hauptsache aber ist, den umfang des nhd. ganzen
zeitraums so viel als möglich zu erschöpfen und dadurch
nicht allein das verständnis der einzelnen ausdrücke zu
ergründen, sondern auch die liebe zu den vergesznen
schriftstellern dieser zeit wieder anzufachen. das allerverkehrteste
wäre, den blick vom alterthum abzuwenden
und das deutsche wörterbuch selbstgenügsam auf die
kurze spanne der gegenwart anzuweisen, als könnte
irgend eine zeit aus sich allein begriffen werden und
[xix]
des veralteten, auszer brauch gesetzten entraten. Schon
Göthe
erfordert nicht selten einen unterschied zwischen
seiner früheren und späteren ausdrucksweise
und bedient sich im laufe seines langen reichen lebens
allmälich anderer formen und wörter, man sehe z. b.
begonnte und begann sp. 1297, es wird aber fortgesetzter
aufmerksamkeit bedürfen, um solche wahrnehmungen
sicher zu stellen, sp. 5 führte Luthers adeler
unmittelbar zu der annahme, dasz auch Göthe nur adler
gesagt habe, augenblicklich entgieng mir, dasz im
spätern Faust dennoch vorkommt:
|
sie dünkt dich wol sie sei ein aar.
41, 40, |
und warum sollte in den neueren gedichten dies wort
nicht öfter wiederkehren? aar ist das schönere, ältere,
adler das zusammengesetzte, unserm heutigen sprachgebrauch
klingt aber adler einfach und natürlich, aar
gesucht und gelehrt. den meisten lesern würde nicht
eingefallen sein daran zu denken, dasz uns eins dieser
wörter geläufig sei, das andere nicht. noch häufiger
als bei Göthe
zeigen sich bei Wieland wörter, die von
jüngeren schriftstellern kaum oder nirgend verwandt
werden. wie viel mehr ist aus der sprache der schlesischen
dichter, oder Fischarts heute ausgestorben.
Jede sprache steht nicht nur in ihrem nächsten kreis,
es sind auch noch fernere und ausgedehntere um sie
gezogen, deren einflusse sie sich nicht ganz entziehen
darf, deren bewustsein sie nicht völlig verloren
hat, wenn es schon dunkler und schwächer geworden
ist, wie dem gedächtnis die abgelegensten dinge urplötzlich
wieder gegenwärtig werden. wollte man
dem sprachvermögen sein recht nehmen zurück zu greifen,
und nach bedeutsamen, durch ihr alterthum feierlich
gewordnen wörtern zu langen, so wäre das die
unerträglichste beschränkung. eine sprache die auszer
ihrem baren vorrat, der in umlauf ist, keine sparpfennige
und seltne münzen aufzuweisen hätte, wäre armgeschaffen;
diese schätze hervorzuziehen ist das amt
des wörterbuchs.
Seit uns die dichtungen des mittelalters wieder heimisch
geworden sind und hinter ihrem rücken wir
noch eine nachzuckende althochdeutsche poesie liegen
wissen, sind zugleich auch auf einmal alle folgenden
jahrhunderte günstiger angesehn, weil die genaue
kunde einer frühen zeit auch in der späteren keine lücken
leidet. Gellert
und Hagedorn verstehn wir nicht
ohne Canitz
und Günther, diese nicht ohne
Opitz und
Fleming,
soll die gröszere kraft des sechzehnten jahrhunderts
für uns verloren sein? Luthers noch heute
in der bibel fortlebende sprache würde nur unvollständig
erkannt, wenn sie aus dem zusammenhang ihrer
eignen zeit gerissen wäre. kein deutsches wörterbuch
dürfte Fischart
, Luther
; HANS
Sachs,
Keisersberg von
sich ausschlieszen, darum gehören ihm auch die zeitgenossen
dieser männer an, und vermöchte es nicht
eine solche forderung zu erfüllen, so bliebe es ohne
saft und gehalt.
5. Welche
vorgänger haben wir und was ist von ihnen
schon geleistet worden?
Die vorzeit, wie vorhin gezeigt ist, kannte keine
wörterbücher, und eine menge althochdeutscher glossen,
die in lateinischen handschriften über die zeilen
gesetzt oder auch besonders zusammengetragen wurden,
[xx]
sollten nur der lateinischen sprache, gar nicht der
deutschen einen dienst leisten. es sind nichts als kleine
glossare, vocabulare und nomenclatoren, meist nach
den lateinischen wörtern alphabetisch und ungenau,
zuweilen auch nach unterscheidung der gegenstände
geordnet, wie z. b. der von
Wackernagel
bekannt gemachte
vocabularius optimus aus dem 14 jh. alle für
den sprachforscher, sofern sie der ahd. und mhd. periode
angehören, mehr oder minder werthvoll, liegen
auszer unserm unmittelbaren bereich; es gibt ihrer
aber auch mehrere, die der zweiten hälfte des funfzehnten
jh. und noch dem beginn des 16 anheim fallen,
denen die erleichterte verbreitung durch den druck zu
statten kam. von ihnen ist jedoch, aus nahe liegenden
gründen, mehr ein zufälliger als vollständiger gebrauch
gemacht worden. sämtlich ungemein und selten, stehen
sie nur zerstreut in groszen büchersamlungen und
sind bei ihrer unbeholfenheit schwer zu gebrauchen.
in den alphabetisch eingerichteten läszt sich nach dem
barbarischen latein nicht leicht aufschlagen und man
musz damit beginnen, jedes derselben von anfang bis
zu ende durchzulesen, um zu erfahren, was sie enthalten.
das sind aber vorwiegend lauter gewöhnliche,
sonsther bekannte wörter, deren mundart und verhalt
erst sorgfältiger ermittelung bedürfen. ich leugne nicht,
dasz im einzelnen manche ausbeute aus ihnen zu gewinnen
sein wird. Lorenz Diefenbach, der bereits eins
dieser bücher nach einer handschrift von 1470 herausgegeben
hat, will sich das verdienst erwerben, alle
übrigen zu untersuchen, zu ordnen und in genauer
vollständigkeit dem publicum vorzulegen. vorläufig findet
man mangelhafte verzeichnisse ihrer ausgaben in
Clignetts vorrede zum teutonista s. LXXXVII-LXXXIX
und bei Ebert
unter vocabularius.
Den funken eines deutschen wörterbuchs zündete
der, welcher unter diesen vocabularien auf den nahe
liegenden gedanken gerieth, statt nach den lateinischen
nun auch nach den deutschen wörtern alphabetisch zu
ordnen, und Diefenbach
wird uns sagen, wer der erste
gewesen ist; kaum geschah es bereits in handschriften,
die dem druck noch nicht bestimmt waren, und
anfangs wird dem lateinischdeutschen glossar nur ein
deutschlateinisches register angehängt worden sein.
Panzer
in den zusätzen seiner annalen führt unter 111.
112. 113 einen vocabularius incipiens teutonicum ante
latinum in drei ausgaben ohne druckjahr an; ein vocabularium
teutonico-latinum erschien zu Hagenau
1487, aber vorher schon 1475 zu Cöln
Gerts van der
Schüren
teutonista oder duitschlender in niederrheinischclevischer
mundart, eine reiche und einsichtige
auswahl deutscher wörter, die noch heute groszen
nutzen leistet und der deutschen sprache ihren alphabetischen
auftritt sicherte.
Das erste namhafte hochdeutsche wörterbuch rührt
von einem Straszburger, doch aus der Schweiz abstammenden
arzt Petrus Dasypodius
(was Hase oder Häslein
sein wird, bei ihm selbst steht geschrieben 114b
hasz, häszlin, 347d haas dasypus) und führt den titel
dictionarium latinogermanicum, dessen dritte ausgabe
Argentorati per Wendelinum Rihelium 1537 in 489
octavblättern mir vorliegt und später noch oft aufgelegt
wurde. die beiden ersten drucke 1535 (superiore
[xxi]
anno) und 1536 müssen sich schnell vergriffen haben.
das dictionarium germanicolatinum, in usum et gratiam
germanicae pubis summa diligentia concinnatum beginnt
erst mit bl. 295, ist aber enger gedruckt als der
vorausgehende lateinische theil, und man thut wol,
immer beide zusammen zu halten, da ihre fassung abweicht.
beide theile lassen am schlusz noch besondere,
gleichfalls alphabetisch geordnete, recht brauchbare
sachverzeichnisse, nach art der alten vocab. rerum folgen,
in der vierten ausgabe trat ein verzeichnis der
rechtsausdrücke hinzu. obwol nun diese ganze arbeit
noch den character eines schulbuchs an sich trägt,
ist sie doch frisch aus der elsäszischen mundart, wie
der teutonista aus der niederrheinischen geschöpft, und
ihr deutschlateinischer theil prägte die nothwendigkeit
alphabetischer wortsamlungen unserer sprache aufs anschaulichste
ein.
Unmittelbar auf dem fusz des Dasypodius folgte ein,
es scheint ganz aus ihm entnommnes, nur ärmeres,
sonst aber dieselben verdeutschungen enthaltendes
dictionarium latinogermanicum des Joannes Serranus
, Norimb. 1539.
Joannes
Frisius,
ein Zürcher, hatte nach Rob. STEPHANUS
dict. latinogallicum ein latinogermanicum ausgearbeitet,
das Tiguri 1541, dann 1556, beidemal in
einem starken folianten herauskam, und weil ihm der
deutsche index mangelt, den deutschen wörterbüchern
nicht kann beigezählt werden. das fühlbare bedürfnis
eines solchen trieb den Josua
Maaler oder
Pictorius an, auf Gesners
rath, das werk umzugieszen und deutsch
zu verfassen: die teütsch spraach. alle wörter, namen
und arten zu reden in hochteütscher spraach, dem ABC
nach ordenlich gestellt und mit gutem latein ganz fleiszig
und eigenlich vertolmetscht, dergleichen biszhär
nie gesähen, durch JOSUA
Maaler burger zu Zürich.
Tiguri 1561. 536 blätter in grosz 80. ein reich ausgestatteter
schatz von wörtern und redensarten, aus
der lebenden Schweizersprache hervorgegangen, in
der that das erste wahrhafte deutsche wörterbuch, das
die trockenheit des teutonista und Dasypodius verlassend
ein muster aufstellte, wie man in allen landstrichen
unsere sprache hätte verzeichnen sollen; schlimmes
zeichen war, dasz keine weiteren auflagen erfolgten.
Georg Henisch:
teutsche sprach und weisheit, thesaurus
linguae et sapientiae germanicae. pars prima. Augsburg
1616. 1875 seiten in folio, nur den buchst. G zu
ende führend, so dasz mindestens noch zwei ähnliche
bände hätten hinzu kommen müssen, deren erscheinen
ohne zweifel der ausbruch des dreiszigjährigen kriegs
hinderte. das überaus fleiszige und lehrreiche werk ist
nach einem tüchtigen, allzu überladenen entwurf gearbeitet
und erleichtert auch durch ein beigegebnes, sich
schon auf alle buchstaben des alphabets ausdehnendes
register den aufschlag der oft in einem meer von beispielen
und redensarten schwimmenden wörter. was
deutsche arbeitskraft vermöge, geht auch aus diesem
schätzbaren werk unwiderleglich hervor.
Just. Georg Schottelius ausführliche arbeit von der
teutschen haubtsprache. Braunschweig 1663 stellt von
s. 1277-1450 ein nützliches verzeichnis der deutschen
stammwörter auf.
Der deutschen sprache stammbaum und fortwachs
[xxii]
oder teutscher sprachschatz durch unermüdeten fleisz
in vielen jahren gesamlet von dem Spaten. Nürnberg
1691. 2672 spalten in 40, auszer einem unpaginierten,
noch 874 spalten oder 437 seiten enthaltenden register.
der Spate oder Serotinus (vgl. sp. 2163) war
Caspar von Stieler, ein geborner Erfurter, und seine
mühsame arbeit konnte bei vielen gebrechen, woran
sie leidet, keine heilsame wirkung hervorbringen. sie
ist zwar alphabetisch, aber nach stämmen eingerichtet,
denen sogar die sinnverwandten, buchstäblich ganz
fremden wörter angereiht sind, z. b. hinter alt folgen
ur und natur; dabei werden die falschesten etymologien
geschmacklos geltend gemacht, und einzelne triebe
der ableitung oder zusammensetzung unerlaubt, ohne
dasz ihnen wirkliche, lebendige wörter unterliegen,
gehandhabt. Reichards
hist. der deutschen sprachkunst,
Hamb. 1747 s. 306 wirft dem Stieler vor, viele
neugebackene und seltsame wörter entweder aus eigner
erfindung oder aus den schriften der fruchtbringenden
gesellschaft hingesetzt zu haben. oft aber erscheint
dieser tadel auch unbegründet und genauere
bekanntschaft mit unsern sprachquellen rechtfertigt das
aufgestellte, im ersten anblick verdächtige wort. die
beispiele sind nicht reichlich genug und zu trocken gegeben,
die bedeutungen unentwickelt gelassen. gleichwol
musz das sorgsame, von reger vaterlandsliebe getragne
werk beachtet werden und jenes strengalphabetische
vollständige register bietet 60000 wörter in
so erleichterter übersicht dar, wie sie sonst nirgend
vorhanden ist. auch hat es durch die auffassung des
thüringischen dialects noch besondere wichtigkeit.
Christoph
Ernst Steinbachs vollständiges deutsches
wörterbuch vel lexicon germanicolatinum. Breslau 1734
in zwei octavbänden von 1086 und 1134 seiten, gewährt
manches löbliche und brauchbare, mit reichen
zumal aus der schlesischen sprache entnommnen belegen,
von den dichtern sind Günther und
Hofmannswaldau häufiger als OPITZ
und Lohenstein eingetragen.
die ordnung ist alphabetisch, doch nach stämmen.
Johann Leonhard FRISCH
(gebürtig aus Sulzbach in
Baiern) teutschlateinisches wörterbuch, nebst einem
register der lateinischen wörter (wodurch sich also
das frühere verhältnis umdreht), Berlin 1741 in zwei
quartanten von 680 und 489 enggedruckten seiten,
kann das erste gelehrte deutsche wörterbuch heiszen,
da es nicht wie die vorhergehenden, aus der mundart
einer bestimmten gegend gesammelt und wiederum
nachgeschrieben ist, sondern mit weiter umsicht ferner
liegende urkunden, chroniken und gedichte zu rathe
zieht und gründliche, besonnene wortableitungen aufstellt.
es enthält einen wahren schatz von früher unbeachteten
und auch später nur aus ihm zu entnehmenden
nachrichten, weshalb es nicht veraltete und
noch heute häufiger gebraucht und nachgesehn werden
musz als die folgenden, ihm an fülle des stofs
überlegenen werke.
Versuch eines vollständigen grammatischkritischen
wörterbuches der hochdeutschen mundart mit beständiger
vergleichung der oberdeutschen. erster theil
Leipzig 1774, zweiter 1775, dritter 1777, vierter
1780, fünfter 1786, der name des verfassers,
Johann
Christoph Adelung, steht nicht einmal auf den titeln,
[xxiii]
nur am schlusse der vorrede. die zweite ausgabe lautet:
grammatisch kritisches wörterbuch der hochdeutschen
sprache u. s. w. von JOHANN
Christoph Adelung theil 1-4. Leipzig 1793-1801, fünften oder supplementbandes
erstes heft, Berlin 1818, nach des verfassers
tode erschienen und nicht weiter fortgesetzt. werthlos
ist ein zu Prag 1821 anonym heraus gekommner anhang.
Nach Gottscheds tode (1766), der kurz vorher noch
unbefriedigende proben eines umfassenden deutschen
wörterbuchs hatte ausgehen lassen, wurde
Adelung dafür
gewonnen und arbeitete in der nächsten zeit daran
unermüdlich. man darf annehmen, dasz es die ganzen
siebziger jahre hindurch seine volle kraft erforderte; die
zweite in den neunzigern erscheinende ausgabe kostete
hernach geringern aufwand. sie steht sogar wegen
mancher durch andere zusätze unaufgewognen auslassungen
hinter der ersten, und in der sprachforschung
gilt nicht weiter zu schreiten sondern still zu stehn fast
einem rückschritt gleich.
Die erste ausgabe nannte der bescheidne, unendlicher
mühe sich bewuste mann einen versuch. es ist nicht
zu verkennen, ein so durchgearbeitetes und beharrlich
ausgeführtes werk über die deutsche sprache war noch
nicht vorhanden und konnte des günstigsten eindrucks
nicht verfehlen. seine stärke lag in dem bei aller enthaltsamkeit
durch grosze ordnung reich aufgespeicherten,
jede vorausgegangne samlung übertreffenden
wortvorrat, dann in ruhiger, umsichtiger, mit wolgewählten
beispielen ausgestatteter, obschon breiter entfaltung
der bedeutungen. alles trägt das gepräge einer
ungestörten, gleichmäszigen arbeit, die bald so hoch
stieg als sie steigen konnte, und auf die der phantasie
gar kein einflusz gestattet war.
Die vorher nur in Stielers register sichtbare, von
Steinbach
und Frisch
wieder aufgeopferte strengalphabetische
folge blieb nun gehandhabt und liesz alle ihre
vortheile gewahren; doch das erste gebot eines wörterbuchs,
die unparteiische zulassung und pflege aller
ausdrücke muste einer falschen ansicht weichen, die
Adelung
von der natur unserer schriftsprache gefaszt
hatte. nur ein in Obersachsen verfeinertes hochdeutsch,
gleichsam die hofsprache der gelehrsamkeit, meinte er,
dürfe den ton anstimmen, und wenn es auch keinen einzigen
classischen schriftsteller dafür gebe: denn selbst
Gellert,
der reinste den wir aufweisen können, habe
seine meisznische provinzialismen. aus dem erhabnen
sinke die sprache in das edle, aus dem edlen in das trauliche,
dann aber in das niedrige und pöbelhafte herab;
das pöbelhafte liege tief unter dem horizont des sprachforschers,
der das niedrige nur dem komischen zu gefallen
beachte: dessen habe in der ersten hitze das
wörterbuch noch zu viel aufgenommen. das wörterbuch
sei auch kein glossar und müsse sparsam thun
mit veralteten wörtern, manches von Opitz oder
Logau werde blosz zur warnung beigebracht, und Luthers bibelsprache, die sich erst allmälich der oberdeutschen
härte entwunden habe, stehe der reinhochdeutschen
übersetzung von MICHAELIS
nach.
Wie sticht von solchen grundsätzen die dem ersten
bande des wörterbuchs angehängte preisschrift
Fuldas ab, der allenthalben frische blicke in den bau und die
geschichte unserer sprache wirft, dem der pöbel ein
[xxiv]
archiv des alterthums ist. wie muste aber die dauernde
unempfänglichkeit Adelungs für den von ihm voll erlebten
aufschwung deutscher poesie dichterisch gestimmten
zuwider sein, die es mit ansahen, dasz er auch
die zweite ausgabe seines wörterbuchs nicht zu bereichern
verstand aus dem was alle begeisterte. den
lange verhaltnen tadel sprach endlich Voss treffend und
bitter aus, dennoch ungerecht, weil ihm die anerkennung
dessen abgieng, was in engem, freiwillig gestecktem
befang mit reichem, allen nützendem ertrag geerntet
worden war. in der literatur des 16. 17 jh. war
Voss
bewanderter als Adelung
, für die ältere sprache
läszt beider kunde das meiste zu wünschen übrig, und
übel angebracht scheint die rüge, aus der für den rügenden
fast eine höhere entspringen mag. um ein
beispiel des schadens anzuführen, den diese unkunde
nach sich zieht, Adelung
wuste nicht im nhd. e das
mhd. ë und e, im nhd. ei nicht das mhd. î und ei zu
unterscheiden, bei wörtern also wie bescheren oder
schwellen, wie schleifen und bescheinen sah er niemals
auf den grund, und dieser mangel zieht durchs
ganze buch. das ist nur éin gebrechen und an ähnlichen
schlimmeren leidet es oft genug, es durfte doch
noch manchen windstosz an sich vorüber streichen
lassen, bevor es zu boden gesunken wäre; es wird
auch in zukunft noch lange zeit aufrecht stehn bleiben
und von den forschenden zu rath gezogen werden.
Bald nach beendigung der zweiten ausgabe Adelungs,
und auf lang gepflogne vorarbeiten erschien Joachim
Heinrich Campes wörterbuch der deutschen sprache,
Braunschweig 1807-1811 in fünf quartanten. ein
schwerfälliges, tief unter dem seines vorgängers stehendes
werk, hervorgerufen durch die begierde die bei
Adelung
fehlenden, jetzt in der alphabetischen anordnung
leicht erkennbaren wörter nachzutragen und
einem unverständigen purismus huldigend alle fremden
wörter aus der sprache zu tilgen. bei Adelung war alles aus einem gusz und reiflich erwogen, hier
griffen neben Campe
selbst noch zwei mitarbeiter verschiedner
art und befähigung ein und strebten in aller
hast ein wörterbuch anzuschwellen, das der gelehrsamkeit
entraten konnte, da alle etymologien als unnütze
spreu verworfen wurden, und die 'in jeder minute
kreiszende und gebärende sprache' dem haschenden,
nicht dem stillemsigen samlerfleisz unablässigen
vorschub that. am schlusz des fünften bandes, als nachgezählt
wurde, fand sich, dasz Adelungs zweite vermehrte
ausgabe nur 55181 artikel, das neue werk
141277 enthalte, wozu sich eine unabsehbare reihe
von nachträgen erwarten liesz, weil dem überschlag
zufolge (vorr. zu band 1 seite IX) 'jede ostermesse in
ihren büchern sicher ein paar tausend wörter bringe,
die in den vollständigsten wörterbüchern fehlen'. ein
glück, dasz diese nachträge nie erschienen sind, durch
das hauptwerk schon stand die überschwemmung hoch
genug.
In wahrheit auf die frage nach dem zuwachs musz
man antworten, dasz manche der von Adelung versäumten
wörter nachgeholt sind und in dem von allen
seiten heran geführten schutt einzelne gute körner
stecken können, für deren alphabetische aufstellung
gedankt werden darf; doch ist weder die ältere noch
[xxv]
die neuste literatur planmäszig und genau eingetragen,
häufige durckfehler entstellen die meisten auszüge. die
vortretende masse besteht aber in nichts als zusammensetzungen,
und wiederum meistens uneigentlichen,
deren die art und weise unserer sprache zahllose reihen
bilden läszt. blieben die einem folgenden wort
sich anhängenden partikeln und genitive los und frei,
wie sie die ältere syntax betrachtet, an dem platz, den
sie in der rede einnehmen; so hätte das wörterbuch
ihrer nur bei den einfachen wörtern zu gedenken anlasz,
nicht aber composita anzusetzen, zu denen sie der
sprachgebrauch allmälich verknöchert. man kann den
gen. herzens oder leibes, und so fast jeden andern, einer
unzahl von substantiven oder adjectiven voraussenden,
mit welchen sie nun zusammengesetzt erscheinen,
während in gleicher lage das lateinische cordis und
corporis stets unangeheftet bleibt; die aufzählung solcher
zusammensetzungen im wörterbuch zeugt von keinem
reichthum unserer sprache, blosz von einem zwang,
der ihrer syntax angethan wird. für die partikeln stellt
sich die sache etwas anders; unleugbar wäre der willkür
thür und thor eröfnet, wenn es verstattet sein sollte,
dasz alle und jede den einfachen wörtern in allen denkbaren
bezügen vorträten: die sprache würde dann einem
unnatürlichen baum gleichen, an dem sich alle äste,
zweige und blätter nach jeder seite hin entwickelt hätten.
mit der analogie ist der sprachforschung ein weitreichendes
gesetz verliehen, doch in den ausnahmen
und abweichungen von ihr bergen sich wiederum regeln,
denen man gerecht werden soll. die partikel auf
z. b. vermögen wir vor jedes einen lauten schall ausdrückende
verbum in dem sinn zu setzen, dasz dadurch
ein wecken aus dem schlafe bezeichnet werden soll:
aufbellen aufbimmeln aufblasen aufdonnern aufgeigen
aufläuten aufposaunen aufschreien aufsingen auftrommeln
auftrompeten auftuten und so weiter; es wird
hinreichen einzelne derselben im wörterbuch mit guten
beispielen, die sich darbieten, anzugeben und der
erschöpfenden durchführung zu entsagen. denn auch
hier macht sich ein recht des sprachgebrauchs geltend,
der eine solche bedeutung weislich meidet, wenn bereits
eine andere mit derselben partikel geläufig ist, wie
aufgeigen gewöhnlich ausdrückt hergeigen, folglich für
aufwecken mit der geige nur da gesagt werden kann,
wo es ein bestimmter zusammenhang gestattet. ebensowenig
misbrauchen läszt sich das privative aus, wie
sp. 821 angemerkt ist, und dieselbe vorsicht musz für
alle andern partikeln angewandt werden. Ich behaupte
nicht, dasz die verfasser des campischen wörterbuchs
alle möglichen partikelcomposita hinstellen wollten,
was zu den unausführbarsten, fruchtlosesten dingen
würde gehört haben; allein es genügt ihnen für viele
derselben entweder der baren analogie zu folgen oder
einen beleg vorzuschützen, der den lebendigen ursprung
der zusammensetzung zu bezeugen unfähig ist.
um die vorläufig unnütze aufführung von ausdrücken
wie abnäseln, abnecken, abnicken u. s. w., die seinen
raum einnehmen, wird das wörterbuch niemand neiden:
nicht alle scheinen unzulässig, doch sie fallen
verdrieszlich, solange ihnen die rechte beglaubigung
abgeht und ein groszer theil derselben erregt zweifel.
Hinzugenommen, dasz Campe auszer dieser sucht der
[xxvi]
vervielfachung und übertreibung aller ableitungs und
zusammensetzungstriebe der deutschen sprache einem
unleidlichen purismus huldigt, von dem sogleich mehr
gesagt werden soll, dasz er dagegen versäumt hat die
in unserer literatur zunächst liegenden und gebotenen
ergänzungen des adelungischen werkes gebührend aufzubringen,
so wird man sich schwer dazu verstehen,
das seinige für wahrhaft brauchbar und unsere sprache
fördernd zu erklären. die den wörtern vorgesetzten
unpractischen zeichen verdienen sicher keine nachahmung
und tragen nur dazu bei, die leblosigkeit, an der
das buch ohnehin leidet, noch zu mehren.
Der übrigen seit Adelungs zeit erschienenen deutschen
wörterbücher, handwörterbücher,
gesamtwörterbücher
von Moritz
, Heinsius, Heyse, Kaltschmidt und wie sie weiter heiszen, ausführlich zu erwähnen
ist keine noth. sie sind verschiedner art und anlage,
in wolmeinender absicht unternommen und theilweise
mit geschick bearbeitet; allein ich trage bedenken, ob
irgend ein einziges unter ihnen der sprache selbst wahren
und dauerhaften dienst geleistet habe. sie gehen
darauf aus und halten für bedürfnis, die bisherige errungenschaft
immer umzuschreiben, auszuziehen und abzukürzen,
statt sie zu erhöhen und zu steigern. den eingang
zum schacht finden sie nicht oder lassen ihn versanden.
eine weile brach zu liegen hätte dem groszen
wortacker besser gethan, als dasz, während die pflüger
ausblieben, viele füsze auf seiner oberfläche sich
tummelten und sie fest traten.
6. Fremde wörter.
Alle sprachen, solange sie gesund sind, haben einen
naturtrieb, das fremde von sich abzuhalten und wo sein
eindrang erfolgte, es wieder auszustoszen, wenigstens
mit den heimischen elementen auszugleichen. keine
sprache war aller entfaltungen der laute mächtig und
den beiseite liegenden weicht sie aus, weil sie sich dadurch
gestört empfindet. dem Hochdeutschen ist zuwider
statt laub und liebe zu vernehmen loof und leeve,
aber der Niederdeutsche hat gegen jene formen ein
ähnliches gefühl. was schon von den lauten, gilt noch
mehr von den worten.
Fällt von ungefähr ein fremdes wort in den brunnen
einer sprache, so wird es solange darin umgetrieben,
bis es ihre farbe annimmt und seiner fremden art zum
trotze wie ein heimisches aussieht. das zeigt sich vorzugsweise
an einer menge von ortsnamen, aber auch
an andern wörtern: abenteuer, armbrust, eichhorn
klingen vollkommen deutsch, obgleich sie nicht das geringste
mit den vorstellungen abend theuer arm brust
eiche horn zu schaffen haben. es liegt nichts daran
was sie zu bedeuten scheinen, jeder weisz was sie wirklich
ausdrücken und unsere klänge werden nicht von
ihnen getrübt. auch echtdeutsche aber dunkel gewordne
ausdrücke müssen sich gefallen lassen auf ähnliche
weise deutlicher, wenn schon sinnlos zu werden,
wie aus moltwurf, seit man es misverstand, maulwurf
gemacht wurde.
Durch das christenthum, die lateinische gelehrsamkeit
und den nachbarlichen verkehr drangen fremde
wörter haufenweise vor. für einige gab es gute ja
kühne verdeutschungen, wie taufe, sünde, hölle, ostern.
weit mehrere wurden beibehalten und zugestutzt, z. b.
[xxvii]
engel, teufel, priester, altar, pfeiler, kreuz, natur, körper,
fenster; aus pyrethrum ward bertram, aus peregrinus
pilgrim oder pilgram, aus podagra podagram. die assimilation
war dann am stärksten, wenn ihnen auch
unsere eigenthümliche flexion zu theil wurde, z. b.
den wörtern schreiben und preisen der ablaut schrieb,
pries.
Zur annahme fremder wörter bewog unser alterthum
nicht nur ihr fester zusammenhang mit der überlieferung
der kirche und schule, neben einer ins auge
fallenden übereinkunft der urverwandten, sondern auch
ihre zier und beholfenheit, oder träge versäumnis sich
in der eignen sprache nach einem ihnen entsprechenden
ausdruck umzusehen.
Allmälich begann jener widerwille gegen den fremden
laut sich abzustumpfen und in ein pedantisches beibehalten
seiner vollen aussprache umzudrehen; auf diesem
standpunct sank das gefühl für die eigne sprache
noch mehr und den fremden wörtern wurde der zutritt
ohne noth erleichtert: man suchte nun eine ehre
darin, das heimische aufzugeben und das fremde an
dessen stelle zu setzen.
Es ist pflicht der sprachforschung und zumal eines
deutschen wörterbuchs dem maszlosen und unberechtigten
vordrang des fremden widerstand zu leisten und
einen unterschied fest zu halten zwischen zwei ganz
von einander abstehenden gattungen ausländischer wörter,
wenn auch ihre grenze hin und wieder sich verläuft.
Unmöglich wäre die ausschlieszung aller solcher,
die im boden unsrer sprache längst wurzel gefaszt und
aus ihr neue sprossen getrieben haben, sie sind durch
vielfache ableitung und zusammensetzung mit der deutschen
rede so verwachsen, dasz wir ihrer nicht entbehren
können. dahin gehören z. b. die namen aller
aus der fremde in das land geführten thiere und gewächse,
für die es kein deutsches wort gibt, wer würde
der benennung rose, röschen, viole, veilchen entsagen?
dahin fallen die seit tausend jahren deutsch gewordnen
ausdrücke wie fenster, kammer, tempel, pforte, schule,
kaiser, meister, arzt, deren einheimischer name, wenn
er vorhanden war, verschollen oder durch den fremden
näher bestimmt ist. meistentheils, obgleich nicht
durchgehends, wird für fremde substantiva die bildung
von diminutiven oder die zusammensetzung mit lich
(minder die ableitung auf isch) merkmal ihrer zulässigkeit
und einbürgerung, so z. b. musten appetit und
das sehr gut gebildete appetitlich (franz. appétissant)
stehn bleiben, dem nichts anderes genau entspräche
(denn das ahd. lustlîh ist veraltet) und schon
Münster und Fischart
verwenden sie beide unbedenklich: auch
fehlen sie nicht bei Adelung, wol aber bei Campe (der
noch lüstlich hat).
Dagegen enthält das deutsche wörterbuch sich einer
menge anderer aus der griechischen, lateinischen, französischen
sprache oder sonsther entlehnten ausdrücke,
deren gebrauch unter uns überhand genommen hat
oder gestattet wurde, ohne dasz sie für eingetretne in
unsere sprache gelten können. sie haben wol versucht
sich einzunisten und eine stelle zu besetzen, die noch
offen stand, oder aus der sie schon ein heimisches wort
verjagten; doch ist ihnen ungelungen eigentlich sich anzubauen.
ihr aufenthalt scheint in vielen fällen gleichsam
[xxviii]
ein vorübergehender und man wird, sobald einmal
das natürliche wort den gebührenden raum gewonnen
hat, sie gar nicht vermissen. solche fremde
ausdrücke kommen uns zwar täglich in den mund, gehn
aber die deutsche rede nichts an, insofern sie andere,
gleichgute bereits besitzt oder die in ihnen enthaltnen
vorstellungen nicht zu bezeichnen anstrebt, für welchen
zweck sollte sie z. b. die grosze zahl ausländischer
in gärten oder treibhäuser aufgenommner blumennamen
wieder geben? man beläszt es beim lateinischen
kunstwort. andere rücken uns freilich näher, das leben
verwendet fremde wörter in wissenschaft und
schule, im krieg und frieden, im gemeinen umgang
so viele, dasz man sich oft nur mit ihnen leicht verständlich
macht und ohne sie befahren musz misverstanden
zu werden. Wie der stolz auf unsre eigne
sprache, der oft noch schlummert, einmal heller wacht
und die bekanntschaft mit allen mitteln wächst, welche
sie selbst uns darreicht, um noch bezeichnendere und
uns angemessenere ausdrücke zu gewinnen, wird auch
die anwendung der fremden weichen und beschränkt
werden. so hat die unzahl der verba auf ieren, mit denen
alsobald jeder französische infinitiv deutsch werden
kann und die im vorigen jahrhundert allenthalben
unsere rede verunzierten, sich auf viel wenigere zurück
geführt und dasz alle schwänden, wäre auch nicht zu
wünschen. Man darf überhaupt nicht vergessen, dasz
es keineswegs die mitte des volks ist, die das fremde
in unsere sprache heran schwemmte, vielmehr dasz es
ihr zugeführt wurde durch die dem ausländischen brauch
huldigenden fürstenhöfe, durch den steifen und undeutschen
stil der behörden, kanzleien und gerichte, so
wie durch das bestreben aller wissenschaften ihre kunstausdrücke
den fremden zu bequemen oder diesen den
rang vor jedem eignen wort zu lassen.
Dieser ausländerei und sprachmengung soll das wörterbuch
keinen vorschub, sondern will ihr allen redlichen
abbruch thun, geflissentlich aber auch die abwege
meiden, auf welche von unberufenen sprachreinigern
gelenkt worden ist. ohne an der schönheit und fülle
unserer sprache selbst wahre freude zu empfinden,
strebt dieser ärgerliche purismus das fremde, wo er
seiner nur gewahren kann, feindlich zu verfolgen und
zu tilgen, mit plumpem hammerschlag schmiedet er
seine untauglichen waffen. das was, ihm völlig unbewust,
die sprache längst schon hatte, oder was sie zum
gröszten theil noch nicht einmal in sich aufzunehmen
begehrt, will er ihr im umgewandten kleide gewaltsam
anziehen und einverleiben, vor lauter bäumen sieht er
den wald nicht. ohne sonderliche mühe lassen sich
werthlose und ungeweihte zusammensetzungen schweiszen,
deren begrif dem leichten und ungezwungnen
ausdruck, den sie wiedergeben sollen, kaum auf halben
weg nahe kommt, und die doch immer das doppelte
von buchstaben oder silben dafür aufwenden müssen.
Campe
will lehrbote für apostel, spangenhaken für
agraffe, als ob nicht das einfache bote und spange ausreichten;
maskerade verdeutscht er durch larventanz,
da doch larve selbst fremd, tanz die dem ausland wieder
abgewonnene form eines heimischen wortes ist,
das schlimmste wäre, dasz in maschera und maske
gleichfalls ein deutsches wort, wie es allen anschein
[xxix]
hat, versteckt läge. es klingt, aber ist nicht deutsch,
wenn man für oper singeschauspiel, für façade antlitzseite
(wie nahe gelegen hätte wieder das einfache stirne)
empfehlen hört.
7. Eigennamen.
Man hat übel vermerkt und getadelt, dasz dies wörterbuch
die deutschen eigennamen übergehe. kein tadel
könnte von geringerer sachkunde zeugen, ich musz
aber, wenn ich mich auf den gegenstand einlasse, die
örtlichen namen von den persönlichen unterscheiden.
Namen der länder, städte, flecken, dörfer, höfe,
ströme, flüsse, bäche, berge, thäler, gründe, hügel,
felder und wälder gibt es eine grosze menge, und da
die samlung tiefer hätte eindringen müssen, als es die
zu gebot stehenden geographischen wörterbücher thun,
so würde daraus ein beträchtlicher anwachs des stofs
hervorgegangen sein. sicher hat die kentnis und deutung
solcher namen auch für die übrige sprache auszerordentlichen
werth, wenn ihnen nicht eine hauptschwierigkeit
im wege stünde. diese ortsnamen sind
zu verschiednen zeiten entsprungen und manche von
ihnen reichen über die einwanderung des deutschen
volks in unsre gegenden hinaus; fragt es sich nach
keltischen und römischen überbleibseln auf deutschem
gebiet, so stehn sie am ersten in den örtlichen benennungen
vorzuweisen. noch mehr, in den meisten deutschen
landstrichen haben die volksstämme nach verschiedenheit
der zeit gewechselt, die weichenden oder
verdrängten aber wiederum den einzelnen örtern die
eigenheit ihrer mundart aufgedrückt. hieraus flieszt,
dasz die aufzählung der ortsnamen mit gröszerm erfolg
einem mhd. oder ahd. wörterbuch zu überweisen sein
würde, als einem nhd., unter dessen wörtern ihre wenn
gleich vielfach erneuerten bildungen ein fremdartiges
ansehen haben müsten. ist aber künftig einmal, am
besten in einem besonderen werk, ihre genaue untersuchung
gediehen und vorgeschritten, so wird das nhd.
wörterbuch erheblicheren gewinn daraus zu ziehen im
stande sein, als er in einzelnen fällen jetzt schon gezogen
werden könnte.
An dem was wir heute vornamen der leute nennen,
ist die nhd. sprache auszerordentlich arm. was hätte
geholfen, funfzig oder hundert deutsche namen, einen
traurigen rest des unendlichen reichthums unsrer vorzeit
hier zu verzeichnen? den fremden und ausländischen,
grösztentheils biblischen, deren zahl sich ungefähr
ebenso hoch belaufen mag, wäre der eingang verschlossen
geblieben. von den deutschen selbst gilt
aber wieder die eben für die ortsnamen gemachte bemerkung,
auch unsere personennamen sind aus verschiednen
stämmen her erwachsen und verbreitet worden
und z. b. Siegfried an andrer stelle als Gustav entsprungen,
Conrad an andrer als Ferdinand; ihre prüfung
fällt auszerhalb des engen kreises eines nhd. wörterbuchs.
obwol jünger als jene am boden selbst haftenden
ortsnamen, weichen sie dennoch sehr weit in
die vorzeit zurück. das alterthum zählte sie nicht zu
hunderten, sondern zu vielen tausenden, deren blosze
samlung, wenn sie alle formen und verschiedenheiten
umfassen soll, mehr als einen band forderte und erst
aus ihrer vollständigkeit wahrhaft belebt werden würde:
sie wird in einer eignen samlung einmal ungeahntes
[xxx]
licht auf alle theile und zeiten unserer sprache spreiten.
ins wörterbuch gehören blosz einige hypokoristische
formen wie Benz, Kunz, Heinz, Götz u. a., die näher
auf die eigenthümlichkeit der heutigen sprache einflieszen.
alles übrige war abzulehnen geboten.
Die späteren zunamen oder geschlechtsnamen endlich,
insofern sie aus gangbaren wörtern, substantiven
oder adjectiven gebildet werden, sind wenig lehrreich;
sehr viele bestehen aber aus ortsnamen, vor welchen
der sprachgebrauch den persönlichen bezug wegliesz,
z. b. Vogelweide, Keisersberg, Werder, Diefenbach bezeichnen
den von der Vogelweide, vom Keisersberg,
von dem Werder, vom Diefenbach. das letzte beispiel
läszt erkennen, wie schwer es fallen würde, solche aus
allen mundarten abstammenden namen in ein nhd. wörterbuch
einzutragen, welchem nur Tiefenbach gemäsz
wäre, ein niederdeutsches Depenbeke fremd. Diefenbach
aber stimmt zu Otfrieds sprache, der diaf oder
diof schrieb, im passional steht tief. es tritt also reiche
manigfaltigkeit der formen ein, auf die sorgfältig acht
zu geben ist.
8. Sprache der hirten,
jäger, vogelsteller, fischer u. s. w.
Ich bin eifrig allen wörtern der ältesten stände des
volks nach gegangen, in der sicher begründeten meinung,
dasz sie für geschichte der sprache und sitte die
ergibigste ausbeute gewähren. das meiste aus dem
hirtenleben der vorzeit musz auf den alpen der Schweiz
und Tirols so wie auf den steirischen zu suchen sein,
Stalder
und Schmeller
enthalten schätzbare, doch
nicht genügende nachrichten; wer mir noch andere
zuwenden wollte, würde mich zu lebhaftem danke verpflichten.
auch alle redensarten des weidmanns, falkners
und voglers ziehen an durch frische und natürlichkeit
(vgl. anfallen, anfliegen, antreten, auftreiben,
bestätigen), sie reichen gleichfalls in hohes alterthum
(vgl. neu für schnee) und verlangen aufmerksamste
rücksicht; ärmer scheint die sprache des fischers, der
etwas von der stummheit der thiere angenommen hat,
denen er nachstellt. desto lebendiger musz das schifferleben
sein, doch die nhd. mundart bietet nur einen
kleinen vorrat von wörtern aus seinem kreis an hand,
aus Niederdeutschland und den Niederlanden sind allmälich
fast alle wörter der schiffart entliehen worden,
statt deren unsere frühere zeit manche abweichende,
eigene besessen haben wird. gleich andern niederdeutschen
ausdrücken durften aber auch die meisten seemännischen
keinen eingang ins wörterbuch finden, und
Bobrik
wird einsehen, dasz mir sein nautisches wörterbuch
und Nemnichs samlungen wenig oder nichts
halfen; in Kosegartens schickt sich dieser vorrat schon
besser. Was mir von hülfsmitteln für die sprache der
winzer, die ich gern genau erforscht hätte, zu gebot
stand, erleichterte die darauf gewandte arbeit nicht;
zu beklagen ist, dasz auch die bergmannssprache, die
schon seit Georg
Agricola und
Mathesius
reiches material
darbietet, noch unerschöpfend und ohne gelehrte
erläuterung, deren sie bedürfte, zusammengestellt ist.
Besser gesorgt wurde für die eigenthümlichen wörter
der bienenzucht und des gartenbaus, wie der feldbestellung
insgemein, die sich weniger absondern und der
allgemeinen kunde unentzogen sind, was auch von den
[xxxi]
handwerkern gilt, auf deren sprache schon
Adelung fleiszig geachtet hat. Der kochbücher und arzneibücher
gibt es von früher zeit an viele und darunter für
die sprachforschung sehr reichhaltige und diensame.
die bunt gemischte, doch manche deutsche bestandtheile
in sich haltende rotwelsche sprache oder die der
bettler, diebe und gauner hat man vielfach und in neuer
zeit am genügendsten gesammelt; der des alten kriegswesens
wäre eine besondere untersuchung zu wünschen,
sie schlieszt sich in manchem an den alten ritterstand,
aber auch an die jäger an.
In unsern gelehrten ständen, als solchen wohnt heute
keine eigenthümliche übung und ausbildung deutscher
sprache mehr. die geistliche beredsamkeit steht ganz
unter dem gesetz des allgemeinen fortschritts der sprache
überhaupt und hat sich selbst in sprüchen und gesängen
ihrer alten kraft meistens entäuszert; doch
dauert unter geistlichen der protestantischen wie katholischen
kirche eine löbliche neigung auf die volkssprache
zu achten und sie zu sammeln. bei den rechtsgelehrten
sind fast alle spuren einer noch bis ins 15
und 16 jh. lebendigen, zuletzt in den formularen und
rhetoriken niedergelegten überlieferung der alten, reichen
gerichtssprache getilgt; die gegenwärtige rechtssprache
erscheint ungesund und saftlos, mit römischer
terminologie hart überladen.
Lange zeit hindurch hatte kein andrer stand dem anbau
der deutschen sprache stärker angehangen als die
ärzte, sei es, dasz die heimische benennung der krankheiten
oder der heilmittel, voraus aller kräuter und
thiere sie dazu anregte; angenehm fällt es auf, wie
seit erfindung der druckerei hauptsächlich ärzte der
verdeutschung fremder bücher oblagen (man denke an
Steinhöwel
, Wirsung u. a. m.), wie Conrad Gesner
auf das deutsche drang und
Paracelsus
des deutschen mächtig war;
die verfasser unserer ältesten wörterbücher
waren ärzte oder naturforscher, Dasypodius,
Henisch
, Steinbach und
Frisch.
Ettner
, ein Augsburger
arzt, führt in seinen beleibten schriften mitten in
die zwar steif und geschmacklos gewordne, doch noch
mancher alten wörter mächtige sprache des 17 jh. fast
am getreusten ein. heute wie sonst könnten ärzte
durch ihren regen verkehr mit menschen aller art, von
denen sie die natürlichsten dinge hören, den umfang
der sprache genau erkunden und an der einfachen
darstellung des Hippokrates sich ein muster nehmen,
wie man krankheiten für die kunst und zugleich das leben
lehrreich erzählen müsse; doch weisz ich kein beispiel
eines sprachforschers unter ihnen seit den letzten
hundert jahren. die durchgedrungen lateinischgriechischen
kunstwörter hindern sie noch auf dem
einheimischen felde sich zu bewegen und verleiden es
ihnen. nur die chemie kauderwelscht in latein und
deutsch, aber in Liebigs munde wird sie sprachgewaltig.
Den philosophen, welche sich des innigen zusammenhangs
der vorstellungen mit den worten bewust sind,
liegt es nahe in das geheimnis der sprache einzusenken;
doch wächst ihnen die gewandtheit mehr von innen
und haftet zu sehr in der besonderheit ihrer eignen
natur, als dasz sie des hergebrachten sprachgebrauchs
eingedenk blieben, von dem sie unbedenklich und oft
wieder abweichen. auf ihn unter allen scheint
Kant
[xxxii]
die meiste rücksicht zu nehmen, dessen lebendige ausdrucksweise
darum, insofern sie dem gebiet der deutschen
sprache anheim fällt, das wörterbuch aufzufassen
nicht unterlassen hat.
9. Anstöszige wörter.
Die sprache überhaupt in eine erhabne, edle, trauliche,
niedrige und pöbelhafte zu unterscheiden taugt
nicht, und Adelung
hat damit vielen wörtern falsche
gewichte angehängt. wie oft verleugnet er den beruf
eines sprachforschers mit der wiederholten äuszerung:
'diese wörter sind so niedrig, dasz sie kaum angeführt
zu werden verdienen' und wie mengt er alle diese arten
untereinander. seine definition von liebchen lautet
z. b. 'ein nur noch in den niedrigen sprecharten übliches
wort eine geliebte person zu bezeichnen, welche
man auszer der ehe liebet'. der mann soll also aufhören
seine frau liebchen zu heiszen. klang ihm denn nicht
Hagedorns
mein liebchen gieng mit mir ins feld
in den ohren nach? das steht in einem bauernlied, und
Göthes
ich wollt ich wär treu,
mein liebchen stets neu |
hatte sie kaum erreicht. doch mädchen, das er unter
magd verweist, gilt ihm für den traulichen ausdruck,
mägdlein für den edlen. wer weisz, welches trauliche
wort ihm nicht gemein, welches gemeine ihm nicht niedrig
erschienen wäre, und nehmen nicht auch edle wörter
wie mensch und mannsbild heute niedrigen sinn an?
Mich hat die unmittelbare anwendung der standesverhältnisse,
wie sie im altdeutschen recht wahrgenommen
werden, auf die sprache eine einfache trilogie gelehrt.
der freie mann steht in der mitte, aus welcher auf
der einen seite der edle sich erhebt, auf der andern der
unfreie herab sinkt. nicht anders steigt aus der das
volle masz des natürlichen redevermögens darstellenden
freien sprache einerseits die edle, andrerseits die
unfreie. das edle nennen wir auch das höhere, erhabne,
feine; das unfreie auch das niedrige (bas langage),
platte, gemeine, bäurische, grobe, derbe. die
natürliche sprache hat in sich die anlage zu beiden,
dem feinen wie dem groben: aus der edlen sprache
ist der grobe, aus der groben der edle bestandtheil
entfernt; das grobe, derbe wird leicht unrein und
schmutzig (sordidum, turpe), das feine geziert und zimpferlich
(ornatum, molle), oder auch schlüpfrig (lubricum)
erscheinen. wir sahen, wie in der zusammensetzung
bauer und bastart auf jede abart und das
schlechte angewandt werden. des ausdrucks pöbelhaft
(plebejum) im sinne von bäurisch sollte man sich
enthalten, seit das volk (populus) und das volksmäszige
als merkmal des freien erkannt worden ist.
Die natur hat dem menschen geboten das geschäft
der zeugung so wie der entleerung vor andern zu bergen
und die es verrichtenden theile zu hüllen; was
diese innere zucht und scheu verletzt, heiszt unzüchtig
(obscoenum, wahrscheinlich von coenum, also inquinatum,
spurcum). was man aber vor den augen der
menge meidet, wird man auch ihrem ohr ersparen und
nicht aussprechen.
Das verbot ist jedoch kein absolutes, vielmehr da
jene verrichtungen selbst natürlich, ja unerläszlich sind
(naturalia non sunt turpia), müssen sie nicht nur insgeheim
[xxxiii]
genannt, sondern dürfen unter umständen auch
öffentlich ausgesprochen werden.
Und hier tritt jener unterschied zwischen gezierter
und derber sprache ein. die derbe ist geneigt sich das
nennen unzüchtiger dinge häufig zu gestatten und kein
blatt vor den mund zu nehmen, die feine strebt ihm
und allem, was darauf nahen oder fernen bezug hat,
auszuweichen oder es verdeckend hervorzuheben. dabei
kommen nun alle stufen und richtungen der sitte
und des fortschritts der völker in anschlag. die freie
natur der griechischen sprache und poesie getraute
sich kühn auch in das derbe element zu greifen; der
römischen war eine engere schranke gesetzt, lesenswerth
ist ein brief Ciceros (famil. 9, 22). wie steht
die unleugbare, man könnte sagen keusche derbheit der
deutschen literatur des ganzen sechzehnten jahrhunderts
ab von der französischen schlüpfrigkeit, von der
zimpferlichen art unserer heutigen feinen welt, die sich
z. b. scheut ausdrücke wie durchfall oder durchlauf in
den mund zu nehmen und dafür das fremde diarrhöe
lernt, unter welchem der Grieche genau verstand, was
jene deutschen wörter besagen. ein langer sprachgebrauch
konnte hinter manchen französischen ausdrücken
sogar die derbste grundlage vergessen machen,
z. b. reculer, culbuter, culotte; das ehrliche, uralte
wort hose (franz. chausse) unaussprechlich zu finden
ist überaus albern.
Soll das wörterbuch die unzüchtigen wörter in sich
aufnehmen oder sie weglassen? jene handbücher, die
nur fetzen von der sprache geben, können oder müssen
sich ohne zaudern für den ausstosz entscheiden, der
ihnen selbst den schein eines verdienstes bereiten
mag. man würde sie verantwortlich machen dafür,
dasz sie durch aufnahme dessen, was gleich so vielem
andern wegbleiben durfte, es absichtlich ausgezeichnet
hätten.
Das wörterbuch, will es seines namens werth sein,
ist nicht da um wörter zu verschweigen, sondern um
sie vorzubringen. es unterdrückt kein ungefälliges
wörtchen, keine einzige wirklich in der sprache lebende
form, geschweige reihen von benennungen, die
seit uralter zeit bestanden haben, fortbestehn und dem
was in der natur vorhanden ist nothwendig beigelegt
werden. so wenig man andere natürliche dinge, die
uns oft beschwerlich fallen, auszutilgen vermöchte,
darf man solche ausdrücke wegschaffen.
Keiner würde daran denken, aus einem griechischen
oder lateinischen wörterbuch, das den ganzen sprachschatz
befaszt, sie zu entfernen und bei Heinrich Stephanus,
bei Forcellini
mangelt kein obscoenes wort,
dessen man in den quellen habhaft wurde. Wie in andern
strecken des sprachgebiets bricht auch auf dieser
die entschiedenste urverwandtschaft vor, es ist auch hier
gemeingut fast aller einschlagenden völker (vgl. sp.
1560 und skr. mih, lat. mejere, mingere mit ags. mîgan,
wozu goth. maihstus, nhd. mist, ags. meox, engl.
mixen). der sprachvergleichung überhaupt wie der
volleren kenntnis des zusammenhangs aller deutschen
mundarten untereinander entgienge also durch unerlaubte
beschränkung dieses wortvorrats, dessen gelehrte
behandlung ohnehin den eindruck seiner unanständigkeit
mindert. ein erzürnter leser söhnt mit dem
[xxxiv]
anstöszigen worte sich leichter aus, sobald er das entsprechende
lateinische oder griechische daneben findet.
nicht selten auch weicht der üble sinn des seinem ursprung
näher geführten ausdrucks und eine edle bedeutung
erzeigt sich als die frühere.
Um so unerläszlicher ist es im deutschen wörterbuch
auch aller dieser wörter sich zu versichern, da sie aus
den quellen unserer alten sprache geschöpft und von
männern gebraucht sind, die noch mit festeren nerven
begabt als die jetzt redenden vor einem kecken,
derben wort nicht zurück bebten, wenn es galt dem
was sie sagen wollten stärke zu verleihen. es ist wahr,
ihre ganze zeit huldigte einer zwanglosen, rohen, ungezierten
sprache, die unserm gefühl nach allzuoft sich an
dem schmutzigen weidete; doch wie verstanden es schon
Keisersberg
, Luther, vor allen
Fischart, in dem eine
griechische ader flosz, das übermasz zu bändigen; wo es
ihnen aber gelegen war, hielten sie nicht hinterm berge.
auch noch Göthe
hat es wol gefühlt, dasz ein unzarter
ausdruck, da wo er hin gehört nicht erspart sein könne.
es gibt kein wort in der sprache, das nicht irgendwo
das beste wäre und an seiner rechten stelle. an sich
sind alle wörter rein und unschuldig, sie gewannen erst
dadurch zweideutigkeit, dasz sie der sprachgebrauch
halb von der seite ansieht und verdreht. es wäre oft
auch unmöglich spott, witz, zorn, verachtung, schelte
und fluch anders laut werden zu lassen, als in einem
kühnen wort, das unaufhaltsam über die zunge fährt,
und ein groszes entgienge der fülle und wechselnden
färbung der komischen kraft, wenn sie nicht frei nach
allen seiten greifen dürfte. Aristophanes hat es gethan,
und seine wörter stehn in den glossaren.
Das wörterbuch ist kein sittenbuch, sondern ein wissenschaftliches,
allen zwecken gerechtes unternehmen.
selbst in der bibel gebricht es nicht an wörtern, die bei
der feinen gesellschaft verpönt sind. wer an nackten
bildseulen ein ärgernis nimmt oder an den nichts auslassenden
wachspraeparaten der anatomie, gehe auch
in diesem sal den misfälligen wörtern vorüber und betrachte
die weit überwiegende mehrzahl der andern.
10. Umfang der quellen.
Es ist gesagt worden, dasz das wörterbuch sich über
die gesamte hochdeutsche schriftsprache von der mitte
des funfzehnten jahrhunderts an bis auf heute, mit ausnahme
der eigennamen, und wie sich von selbst versteht
des gröszten theils der unter uns umlaufenden
fremdwörter erstrecken solle. die menge der in vier
jahrhunderten geschriebnen und gedruckten bücher ist
aber unermeszlich und offenbar kann der aufgestellte
grundsatz nur zu erkennen geben, dasz keinem der zutritt
abgeschnitten werde, denn die unmöglichkeit alle
oder nur die meisten, seit dem beginn dieser arbeit,
wirklich vorzuführen liegt am tage.
Nirgend sind alle diese werke vollständig verzeichnet,
nicht einmal den geübtesten kennern bekannt, noch
weniger irgendwo zusammen aufbewahrt. nicht nur
aus den beiden ersten, auch aus den letzten jahrhunderten
werden viele auf reich ausgestatteten bibliotheken
gar nicht angetroffen. unsere eigne ganz beschränkte
samlung hat gleichwol den unvermeidlichen
einflusz üben müssen, dasz die von ihr selbst dargebotnen,
längst gebrauchten und vertrauten ausgaben
[xxxv]
den besseren vorgezogen wurden, die anderswo zu erlangen
gewesen wären. es hat uns also verhältnismäszig
nur ein kleiner theil der ausgedehnten deutschen
literatur und manchmal in unvollkommner ausgabe zugestanden.
Alle genutzten und zugezognen werke sind in einem
beigefügten verzeichnis angegeben, das bedürfnis scheint
und dessen mittheilung nicht aufgeschoben werden
konnte, obgleich fortwährend andere schriften von
neuem hinzutreten. ob diese in den folgenden bänden
jedesmal nachzutragen oder nach beendigung des ganzen
wörterbuchs einem umfassenden hauptverzeichnisse
einzuverleiben sind, läszt sich gegenwärtig noch
nicht bestimmen. das jetzt gelieferte wird vorläufig
ausreichen, ist aber dem werke nachtheilig, weil, so
viel darin enthalten sein mag, die groszen lücken unverdeckt
hervortreten. es war kein ausweg.
Aus manchen der gebrauchten bücher sind aber nur
wenige, aus einigen sogar einzelne stellen entnommen
worden, wie sie sich zufällig oder auch bei absichtlichem
nachschlagen darboten. Wie hätte die ganze anzahl
der verzeichneten werke vollständig können gelesen,
ausgezogen und eingetragen werden? der dem
wörterbuch gesteckte raum wäre unabsehlich erweitert
und ausgedehnt worden.
Das unthunliche sollte aber auch von anfang an nicht
gethan, sondern der beabsichtigten vollständigkeit in
ganz anderm sinne nachgestrebt werden. sie kann
nicht in einer lästigen und störenden häufung der stellen,
nur in der genausten ermittelung aller einzelnen
wörter begründet sein, denen unkarge, doch gewählte
beweise hinzutreten, wo sie reich flieszen, aber die
dürftigsten angedeihen müssen, wo keine bessere zu
erlangen sind. die fülle der reichen und herschenden
wörter soll beleuchtet, die unscheinbarkeit der armen
und vergessenen unverachtet bleiben.
Es kam darauf an in jedem jahrhundert die mächtigsten
und gewaltigsten zeugen der sprache zu erfassen
und wenigstens ihre gröszten werke in das wörterbuch
einzutragen. Keisersberg
, Luther
, Hans
Sachs, Fischart,
Göthe
waren noch in keinem einzigen nur einigermaszen,
geschweige reichlich ausgezogen worden.
sie sind auch jetzo unerschöpft, doch der weg ist gebahnt
und gezeigt. für Keisersberg, dessen zahlreiche
schriften selten und von verschiednen herausgebern
bekannt gemacht worden sind, so dasz auch noch deren
verfahren manche unsicherheit mit sich führt, bleibt
das meiste zu thun übrig. Luthers bibel lag unter allen
quellen am zugänglichsten und Bindseils eben
erschienene, leider unvollendete ausgabe, war der
feststellung des textes günstig; doch hat sie die lesarten
der vor 1545 erschienenen drucke für die sprache
ungenügend mitgetheilt; Luthers übrige schriften hatten
in den wörterbüchern fast gar keine berücksichtigung
gefunden. Hans Sachs war immer nur wenig zu
rathe gezogen und bietet noch reiche nachlesen dar.
Fischarts beide für seine sprachbegabung wichtigsten
werke, Gargantua und der bienenkorb wurden fleiszig
gebraucht; wo Fischart
reime dichtet, ist seinem geist
eine fessel angelegt und nur in prosa schwingt er ungehemmt
die flügel. den vollen gebrauch von Göthes
schriften sicherten glücklicher weise die sorgfältigsten
[xxxvi]
vorkehrungen, und besser ist, dasz aus andern vieles
als aus ihm weniges abgehe.
Die gewalt der poesie, die in jeder sprache das meiste
vermag, sollte das wörterbuch vor augen stellen, und
wo man es aufschlage zeigt es deutliche und abgesetzte
verse. das ist nicht gleichgültig, sondern wesentlich
und musz ihm leser gewinnen. denn schon
die unterbrechung der prosastellen durch gedichte, die
alles verdeutlichen und wie der mond aus den wolken
treten, ist ein unberechenbarer vortheil. auch das wiederfinden
des früher nachgeschlagnen wird dadurch
mehr als man denken sollte erleichtert. Schon
Adelung und Campe
verkannten die nothwendigkeit dieser
einrichtung nicht, zogen aber nicht genug gedichte aus.
Linde
und Jungmann
in ihren musterhaft fleiszigen und
reichhaltigen polnischen und böhmischen wörterbüchern
erschweren der poesie den eintritt und lassen
sie wie prosa abdrucken. Was der raum einbüszt, wird
durch die anschaulichkeit zehnfach ersetzt.
Nahe lag der gedanke, gleich beim beginn der arbeit,
für die durchsicht der quellen und anfertigung der auszüge
hülfe zu suchen: von seiten der verlagshandlung
wurde nichts unterlassen, um sie genugsam herbeizuschaffen
und der entspringende beträchtliche kostenaufwand
bereitwillig gedeckt. auf diesem wege sind
sehr schätzbare und in der that unentbehrliche samlungen
zu stande gekommen, die gleichwol, ungeachtet
dasz ein genauer plan des verfahrens entworfen war
und zum grunde gelegt wurde, nach beschaffenheit der
schriftsteller und nach der ausziehenden anstelligkeit
oder neigung von sehr verschiednem werthe sein musten.
einige auszüge lieszen fast nichts zu wünschen
übrig, andere machten gröszere oder geringere nachhülfe
nöthig. manche säumten überlang oder blieben
gar aus; wer sich mit den weitläuftigen und verwickelten
geschäften eines wörterbuchs befaszt hat, dem
braucht nicht erst gesagt zu werden, wie schwer es
hält in solchen fällen nachzuholen und den gerissenen
faden wieder anzuknüpfen.
11. Belege.
Wörter verlangen beispiele, die beispiele gewähr,
ohne welche ihre beste kraft verloren gienge. wie
könnten stellen (loci) heiszen, deren stelle ungenannt
bliebe? der name ihres urhebers reicht nicht aus, sie
müssen aufgeschlagen werden können; aus der leichtigkeit
dieses nachschlagens entspringt ein groszer reiz,
denn wie genau auch die belege ausgehoben seien, der
leser hat nicht selten das bedürfnis sie in ihrem vollständigeren
zusammenhang einzusehen: indem er weiter
vordringt, findet er dicht neben den beigebrachten
ausdrücken noch etwas anderes, unmitgetheilt gebliebenes,
wodurch ihm das verständnis vollends erschlossen
wird. auch in der classischen philologie ist es
hergebracht die quelle anzuführen, aus der entnommen
wurde. unbelegte citate sind unordentlich zusammengerafte,
unbeglaubigte, unbeeidete zeugen.
Freilich bei dem besten willen konnten nicht alle belegstellen
aufgebracht werden und es laufen einige anführungen
mit unter, denen die bewährung abgeht. entweder
hatte der ausziehende ein citat versäumt, oder es
war abhanden gekommen, oder muste einer ausgabe, die
augenblicklich nicht zu gebot stand, entnommen werden.
[xxxvii]
In einer ganzen reihe von büchern hat auch die anführung
ihre eigne schwierigkeit, nemlich in den meisten
des sechzehnten jahrhunderts, und kein anderes
macht sich dem gebrauch so unbequem. um diese zeit
verschwiegen die verfasser häufig ihre namen oder legten
sich falsche bei, wählten lange, fast unanführbare
titel, viele werke wurden von fremder hand überarbeitet,
abgekürzt oder erweitert, ohne dasz man für nöthig
hielt davon die geringste rechenschaft abzulegen. zu
dieser freiheit und unsicherheit stimmt vollkommen,
dasz man bald die blätter, bald die seiten der gedruckten
bücher zählte, ja sie gänzlich ungezählt liesz. in
solchem fall bleibt nichts anders übrig, als sich an die
den einzelnen bogen unten aufgedruckten buchstaben
zu halten und daraus eine lästige, wenn das werk in
mehrere alphabete ausläuft, oft unsichere angabe zu
gewinnen, denn das zählen der bogen nach blättern
und seiten veranlaszt schreibfehler und druckfehler.
Nicht weniger störung bereitet dem leser die seltenheit
der älteren werke und die vervielfachung der ausgaben
bei neueren. die classiker pflegt man nach buch
und capitel, dichter nach gezählten versen anzuführen
und auch für andere bücher, namentlich die bibel erwächst
durch die hergebrachte zählung sicherheit der
citate. in den neueren werken lassen sich nur längere
und bezifferte gedichte wie der Messias leicht citieren,
nicht aber Hermann und Dorothea, und schauspiele
nach dem act und auftritt anzuführen wird für ein wörterbuch,
das kurzer citate bedarf, sowie zum nachschlagen
bei der länge vieler auftritte unbequem und unsicher.
man kommt also nothwendig darauf zurück nach
band und seite zu citieren. ist die zusammenfassende
ausgabe aller schriften, wie bei Schiller in éinen band
gedrängt, so erleichtert dies dem wörterbuch den eintrag,
erschwert aber wegen des engen drucks dem
leser das aufschlagen. darum war Göthes dreibändige
ausgabe hier abzulehnen, und vortheilhaft, die sechzigbändige,
unter allen die verbreiteteste zu gebrauchen.
es scheint aber überhaupt bedürfnis, dasz künftige
gesamtausgaben der werke unserer ersten dichter
durch verweisungen am rand oder in beizufügenden registern
bedacht darauf nehmen darzulegen, wie sie sich
zu den früheren, wenigstens zu den wichtigen stellen.
Hin und wieder wird man der belege zu viel angebracht
meinen, namentlich aus Luther und Göthe. doch
jenes einflusz auf die sprache, Göthes macht über sie
müssen reich und anschaulich vorgeführt werden und
selbst in wiederkehrenden redensarten entfaltet jede
wendung des ausdrucks eignen reiz. unter ahnungsvoll,
unter bethätigen und sonst noch lag es daran, den
wachsthum und die befestigung göthischer lieblingswörter
recht zu zeigen. warum hätten auch die gerade
zu gebot stehenden beispiele unnütz beiseite gethan
und der stelle entzogen werden sollen, wo sie den
meisten eindruck machen und man sie künftig einmal
zuerst aufsucht? im ganzen sind dieser scheinbaren
überladungen doch nur wenige. Bei einer menge von
wörtern geschah die häufung mit allem bedacht, um
keinen zweifel über ihre ausbreitung zu lassen, so wie
umgekehrt aus der belege seltenheit die unbeliebtheit
eines ausdrucks folgt und dadurch vorbedeutet ist. denn
die belegstellen sollen nicht allein an und für sich selbst
[xxxviii]
durch die anziehungskraft ihres inhalts gefallen, sondern
indem sie alle falten der bedeutung eines wortes
blicken und überschauen lassen, seine ganze geschichte
vortragen. selbst aus den steifsten schriften, wie
Hahns reichshistorie oder aus Werders ungelenker
übersetzung Ariosts, konnten die anführungen nicht
unterbleiben, weil kaum etwas anderes die unbeholfenheit
der deutschen rede und die pedanterei der sie
im 17 und noch zu eingang des 18 jh. verfallen war,
so sichtbar vor augen gestellt hätte.
Alle belege aber, wie es beinahe unnöthig zu sagen
ist, drücken durch ihren inhalt lediglich die ansicht des
schriftstellers aus, von dem sie stammen. sie wollen
zumal in glaubenssachen, deren sie aus dem zeitalter
der reformation eine grosze menge anrühren, nichts
dogmatisch aufstellen, alles nur geschichtlich erläutern.
dasz dabei die protestantische färbung vorherscht folgt
aus der überlegenheit der protestantischen poesie und
sprachbildung; es ist doch nirgend versäumt worden
aus katholischen werken, so viel man ihrer habhaft
werden konnte, allen gewinn zu ziehen, welchen sie
darboten. die aus Luthers schriften entnommnen äuszerungen
über den ablaszkram geben unmöglich gegründeten
anstosz, da den greuel des misbrauchs, der
damit getrieben wurde, auch die katholische kirche
selbst eingestanden hat.
12. Terminologie.
Bei den philologen haben sich längst lateinische
kunstwörter eingeführt, die sogar in üblicher abkürzung
von jedermann verstanden werden und an denen
ohne nachtheil niemand ändert. wozu in deutschen
oder slavischen wörterbüchern einheimische ausdrücke
an ihre stelle setzen? diese würden nicht nur Deutschen
und Slaven undeutlich sein, sondern auch die
verbreitung der werke in das ausland hindern. der
Däne Rask
hatte in seinen schriften dergleichen unbeholfne
grammatische benennungen massenweise aufgebracht,
und mehrere Isländer sind wieder mit abweichenden
nachgefolgt; es gilt davon was oben über
die unalphabetischen lautsysteme gesagt wurde: kein
gedächtnis mag sie sich einprägen, sie spuken nur in
den büchern, die sich selbst durch die nutzlose neuerung
schaden zubereiteten. obgleich der purismus sich
immer zuerst auf die verdeutschung dieser ausdrücke
warf, konnte er doch mit seinen vierschrötigen zusammensetzungen
nie etwas ausrichten und die hergebrachten
benennungen kehrten jedesmal an ihre stelle
zurück; selbst Campe ist genöthigt sie fast durchweg
fortbestehn zu lassen.
Mit den buchstaben m. f. n. werden die drei geschlechter
auf das einfachste bezeichnet, besser als
durch vorangestellten artikel, der den anlaut der wörter
versteckt, ihnen nachfolgend und eingeklammert
ein steifes ansehn gewinnt. Niederländer, Schweden,
deren artikel die beiden ersten geschlechter nicht unterscheidet,
müssen ohnehin dieser bezeichnung entsagen
und die wünschenswerthe gleichförmigkeit eines
grammatischen brauchs geht alsbald verloren. zugleich
heben die drei buchstaben jedesmal auch die substantiveigenschaft
an sich hervor, da das adjectiv, aller geschlechter
fähig, unbezeichnet bleibt. verschiedenheiten
der declination im wörterbuch anzugeben scheint
[xxxix]
unnöthig; jede merkenswerthe abweichung von der
regel wird besonders angezeigt oder erhellt aus den
beispielen.
Die verbalnatur ist in unserer sprache durch den ausgang
auf en von selbst bezeichnet, denn wo ihn das
subst. zuweilen hat, dienen jene drei buchstaben diesem
wieder als merkmal. ein activum, passivum, medium
braucht, oder vielmehr vermag nicht geschieden zu
werden, da unsere sprache die beiden letzten formen
gar nicht besitzt. genauer als active und neutrale bedeutung
scheint es aber einander transitive und intransitive
entgegen zu setzen, welcher beider zusammen
unsere meisten verba befähigt sind, und es kommt darauf
an sie in der abhandlung von einander zu halten.
das transitivum zielend, das intransitivum ziellos zu heiszen
hat kein geschick. nnl. sagt man für jenes bedrijvend
und für dieses onzijdig d. i. unseitig, unparteiisch,
was dem neutrum des nomens gleichkommt,
doch den intransitiven sinn des verbums gar nicht andeutet:
ein gehender kann sich rechts oder links wenden,
und schlägt damit nothwendig eine seite ein. nach
dem nnl. vorgang wurde von einigen versucht das sogenannt
regelmäszige verbum als ein gleichflieszendes
(gelijkvloeijend), das unregelmäszige als ein ungleichflieszendes
(ongelijkvloeijend) darzustellen; da jedoch
die ablaute gerade den gleichsten flusz und die älteste
regel der flexion kundgeben, scheinen diese benennungen
auf das übelste gewählt. ihrer wichtigkeit halben
habe ich den ablauten in der alphabetischen ordnung
immer eine eigne stelle bewahrt, wodurch sie am sichtbarsten
vortreten, und alles andere ergibt sich aus den
beispielen.
Es schien heilsam dem nom. sg. des schwachen masc.
seinen vocalischen ausgang, der ihm im organismus
unsrer sprache zusteht, soweit es noch thunlich war,
zu sichern. die nhd. sprache hat die unart, in manchen
wörtern (z. b. heide rabe waffe wolke) das auslautende
n zu tilgen, jenem nom. aber ungebührlich zu verleihen,
und damit den gleichen schritt, der zwischen den
drei geschlechtern so wie zwischen subst. und adj.
stattfinden musz, zu zerstören. die falschen nominative
balken bogen daumen u. s. w. sind zwar heute,
auch bei den besten schriftstellern eingerissen; doch
herscht noch in andern wörtern die organische gestalt
name haufe same u. s. w. vor, und auch der gen. balkens
bogens daumens kann nicht entscheiden, da und
ob schon namens haufens samens gesagt wird. besser
wäre die mhd. form name gen. namen beibehalten
worden, wie noch bote gen. boten gilt und im adj. der
gute, des guten flectiert wird. die nähere ausführung
gehört in die grammatik, das wörterbuch konnte nichts
thun, als durch seine aufstellung die althergebrachte
wortform in ehren zu erhalten.
13. Definitionen.
Schwerer wird es sein, die beifügung lateinischer,
den wortbegrif erklärender ausdrücke zu rechtfertigen,
so groszen vorschub ihnen schon die nothwendigkeit der
lateinischen terminologie thut. was die eine empfiehlt
musz auch die andere empfehlen. man könnte darin
eine tadelhafte rückkehr zum gebrauch von
Stieler,
Steinbach
und Frisch
sehen, den wahrscheinlich schon
Gottsched
verlassen hätte, wie ihm Adelung und alle
[xl]
späteren entsagten. fast alle wörterbücher der übrigen
sprachen, die heute erscheinen, meiden die angabe
des lateinischen worts, doch z. b. Boiste setzt
es den französischen ausdrücken noch oft hinzu. man
hält jede sprache des lateinischen schulzwangs für entbunden
und setzt einen gewissen stolz darin, sie nur
mit ihren eignen mitteln zu erklären. eingenommen
für ihre muttersprache waren gewis die verfasser der
crusca, sie hatten aber nicht das geringste bedenken,
dem italienischen wort das lateinische zum geleit und
zur stütze zu geben. wie wir ein gothisches oder althochdeutsches
wort durch ein neuhochdeutsches auslegen,
versteht es sich fast ungesagt, dasz jedes wort
nicht mit sich selbst, sondern besser mit andern wörtern
gedeutet werde.
Was wird durch ablehnung einer hülfe, die uns die
bekannteste und sicherste aller sprachen darreicht, erlangt?
man bürdet sich die umständlichsten und unnützesten
sacherklärungen auf.
Wenn ich zu dem worte tisch das lat. mensa setze,
so ist vorläufig genug gethan und was weiter zu sagen
ist, ergibt die folgende abhandlung. statt dessen wird
definiert: ein erhöhtes blatt, vor dem man steht oder
sitzt, um allerhand geschäfte darauf vorzunehmen; oder
auch: eine auf füszen erhobne oder ruhende scheibe,
vor der oder wobei man verschiedne verrichtungen vornimmt.
freilich in τράπεζα für τετράπεζα liegt nichts
als die vorstellung der vierfüszigkeit, wie sie auch dem
stul oder jedem andern ursprünglich auf diese zahl von
beinen eingerichteten gerät zukommt.
Die definition von nase lautet: der vorstehende und
erhöhte theil des menschlichen oder thierischen angesichts
unmittelbar über dem mund, der sitz und das
werkzeug des geruchsinnes. die von hand: das gliedmasz
der menschen zum greifen und halten. das wäre
kurz und gut, also weitläuftiger: der äuszerste theil
des arms am menschlichen leib von dem ende des ellenbogenbeins
bis zu den fingerspitzen, mit einschlusz
derselben. diese erklärungen gehören ebensowol in
die physiologie als die der lilie, dasz sie eine pflanze mit
glockenförmiger blume und unter die gewächse mit
sechs staubfäden und einem staubwege zu rechnen sei,
der botanik anheim fallen musz und aus ihr herbeigeholt
wird. von solchem geschlepp langweiliger definitionen,
das seit Adelung
durch die deutschen wörterbücher
zieht, hatten Frisch
oder Stieler keine ahnung
und waren seiner durch den gebrauch der lateinischen
wörter von selbst überhoben.
Es ist gar nicht damit behauptet, dasz der sprachforscher
des einzelnen, was in der erklärung enthalten
ist, überall entbehren könne; er wird es, gleich allen
andern merkmalen, die der gegenstand an sich trägt,
hervor holen, sobald bedarf entspringt und die entwickelung
einer bedeutung daran geknüpft werden soll.
in den meisten fällen erscheint aber überflüssig hinter
jedem wort, dessen begrif durch das lateinische auf einmal
gegeben ist, noch die ganze reihe seiner eigenschaften
folgen zu lassen.
Von den hinzugefügten lateinischen ausdrücken ist
gar nicht zu verlangen, dasz sie dem deutschen nach
jeder richtung hin entsprechen sollen, was bei dem abstand
aller sprachen von einander unmöglich wäre. sie
[xli]
haben gleichsam nur in den mittelpunct des worts, auf
die stelle der hauptbedeutung zu leiten, von welcher
dann frei und unbefangen nach allen richtungen hin
umzuschauen ist. so wenig jene definition alle wesentlichen
und zufälligen merkmale an der sache hervorzuheben
vermochte, noch minder will das latein die erklärung
des worts erschöpfen, dies kann am besten in
der nachfolgenden deutschen erläuterung geschehen.
Auch wird man nicht die verständlichkeit aller lateinischen
gebrauchten ausdrücke für alle leser des wörterbuchs
verlangen; die ihrer unkundig sind, hüpfen
mit leichtem fusze daran vorbei und finden sich dennoch
zurecht, wie sie vorübergehn, wenn sie auf ein wort
gestoszen sind, dessen gehalt sie gar nicht anzieht. ich
stelle mir vor, dasz sinnigen frauen das lesen im wörterbuch
durch die eingestreuten lateinischen so wenig
gestört oder gar verleidet wird, als sie ein zeitungsblatt
ungelesen lassen wegen der juristischen, militärischen,
diplomatischen kunstwörter, die darin stehn.
jeder leser bringt eine menge verständnisse mit sich,
die ihm den zutritt zu den wörtern leicht machen; ihn
auf allen schritten zu geleiten, kann nicht die absicht
eines wissenschaftlichen werkes sein, das zugleich höhere
zwecke verfolgt. die befähigung zu dem wörterbuch
wird sich durch den gebrauch von selbst mehren.
als man die sprachfertigkeit einer aufgeweckten Französin
nach der grammatischen regel meistern wollte,
versetzte sie behend: mais, je suis la grammaire en
personne; so kann, wer seine natürliche sprachgabe
und sprachfülle in sich trägt und voraus setzt, ungeirrt
von lateinischen kunstwörtern, in diesem buche rathes
sich erholen.
Nicht zu verachten ist auch, dasz durch den gebrauch
der fremden sprache die erklärung der unzüchtigen
wörter löblich verdeckt und dem allgemeinen verständnis
gewissermaszen entzogen wird.
14. Bildungstriebe.
So wenig irgend eine sprache in sich alle laute entfalten
oder die entfalteten unverändert bewahren kann,
sind ihr auch lange nicht alle formen zuständig und
manche, die sie ehdem besasz, im verlauf der zeit
wieder verloren gegangen. durch das ausscheiden verschiedner
mundarten aus dem groszen kreis ihrer alten
urgemeinschaft, treten die einzelnen sprachen in besondere,
neugebildete kreise, von welchen die eigenheit
der übrigen ausgeschlossen sein mag und so erklärt
sich die manigfaltigkeit des aus einer quelle entflossenen.
in jeder sprache stellt sich ein abhanden gekommnes
gleichgewicht immer von neuem her.
Dies ihr geschichtlich errungnes besitzthum, wie
reich oder arm es sei, steht einer blosz als möglich gedachten,
ersonnenen aber unwirklichen ausdehnung
aller ihrer bildungsmittel entgegen. dort sind alle regungen
und triebe der sprache natürlich und ungezwungen,
hier würden sie gezerrt und verrenkt erscheinen.
Wer wollte unsrer sprache einen diphthong zufügen,
der nie ihr eigen war? wer ihr ein ablautendes verbum
andichten, das sie nie besasz? es kommen seltne beispiele
vor, doch nur solche, die ein volksgebrauch halb
unbewust einführte. Leichter scheint es zwar, gangbare
ableitungen zu vervielfachen oder die wörter in unversuchten
verknüpfungen aneinander treten zu lassen;
[xlii]
aber auch da sträubt sich der sprachgebrauch, wenn
es ohne ursache und von ungeweihter hand geschehn
war. die blosze möglichkeit des worts ist noch kein
beweis seiner gültigkeit und schicklichkeit.
Man sollte meinen, dasz sich z. b. von jedem verbum
ein männliches substantiv auf er zeugen, aus diesem
wiederum ein weibliches auf erin bilden liesze, und es
scheint kaum nöthig solche ableitungen überall anzuführen.
doch ergibt sich, dasz hin und wieder sie gar
nicht im brauche sind, zumal von einfachen verben,
während sie von zusammengesetzten leichter entspringen.
niemand sagt der faller, lasser, heiszer von fallen,
lassen, heiszen, wol aber wird gebildet der erblasser,
verheiszer; halter und haushalter, stabhalter, falter
und zweifalter, nachtfalter, thuer und verthuer sind
neben einander üblich; doch dem verwalter von verwalten
steht das einfache walter von walten nicht zur
seite: einem dichter würde nicht abgeschnitten sein,
in feierlicher rede gott als den walter und herscher zu
bezeichnen. gleich ungewöhnlich ist der rater, allgemein
bekannt der berater von beraten, der verräter von
verraten. offenbar ist das zusammengesetzte verbum
unsinnlicher als das einfache, und aus diesem die ableitung
auf er etwas schwerer als aus jenem. wie wenig
angelegen es der sprache sei, alle wörter über einen
kamm zu scheren, folgt auch aus dem schwanken und
der unschlüssigkeit des umlauts in solchen substantiven,
denn wir sagen fänger, gänger, schläfer, gräber,
bläser, schläger, jäger, kläger, wärter, wäscher, mörder,
käufer u. s. w., hingegen hasser, prasser, laufer,
maurer, rufer, antworter, und manche ausdrücke
schwanken, da sowol aderlässer als aderlasser und neben
verräter berater, neben haushälter haushalter vorkommt.
der umlaut scheint hier meistens ältere bildungen,
der unumlaut neuere anzuzeigen. in unserm
bauer stecken zwei verschiedne bildungen, sowol bûr,
zu welchem es sich verhält wie mauer zu mûr, als
bûari. alle diese unterschiede hat vielmehr die grammatik
zu erörtern, als dasz sie das wörterbuch in sich
aufnehmen, besprechen und anschaulich machen könnte.
Die zusammensetzungsfähigkeit unserer sprache, wie
schon oben bei gelegenheit des campischen wörterbuchs
gesagt wurde, ist so unermeszlich, dasz sich lange
nicht alle hergebrachten, geschweige alle möglichen
wortbildungen anführen lassen. nach dem ersten oder
zweiten theil jeder zusammensetzung sind immer reihen
von analogien denkbar, die es überflüssig sein würde im
wörterbuch jedesmal auch auszufüllen. die manigfaltigkeit
der kleider ist in den zusammensetzungen badekleid
feiertagskleid hochzeitkleid hofkleid morgenkleid nachtkleid
sommerkleid sonntagskleid trauerkleid werkeltagskleid
winterkleid ausgedrückt, sicher unerschöpft; sollen
alle hier gebrauchten ersten wörter nun auch mit dem
zweiten worte anzug, tracht und gewand, oder mit rock,
kittel und ähnlichen benennungen verknüpft und eingetragen
werden? mit unzähligen part. praet. starker wie
schwacher form läszt sich das in einfacher gestalt ausgestorbne
subst. heit verbinden: gelegenheit abgelegenheit
überlegenheit verlegenheit verstiegenheit verschlossenheit
abgeschlossenheit gedrungenheit gedunsenheit aufgedunsenheit
belebtheit beliebtheit verkehrtheit, wer
könnte alle aufzählen? bei der uneigentlichen composition,
[xliii]
besonders mit angeschobnem genitiv müsten die
möglichkeiten der verknüpfung beinahe endlos werden,
so gut ich sage adlersauge adlersfeder adlersfusz adlerskralle
adlersschweif, kann auch falkenauge falkenfeder
u. s. w. gebildet und die bildung noch auf viele
andere vögel forterstreckt werden. unsere sprache
sollte gleich der lateinischen und griechischen dieser
art von zusammensetzungen ganz entraten und adlers
auge, adlers feder schreiben, wie auch früher geschah.
bei zusammensetzungen mit mehr als zwei wörtern
(gramm. 2, 924 ff.) ist vollends die denkbare vervielfachung
unabsehlich; manche derselben sind allgemein
eingeführt z. b. obstbaumzucht, haselnuszkern, bierwirtschaft,
nordostwind, spottwolfeil, andere nur in
schriften versucht worden, wie vollblutabstammung,
wiesenlandniederung, backsteineinförmigkeit nordamericanischer
städte: mäszig verwandt können solche
wörter wirksam und nachdrücklich sein, ihre häufung
würde unerträglich fallen.
Das allein richtige verfahren für das wörterbuch wird
sein, dasz es allen gangbaren und geläufigen, an sich
auch günstigen und treffenden bildungen dieser art,
unbekümmert um die wilde und rohe analogie der
übrigen, einlasz gewähre; wofür sich noch kein bedürfnis
im sprachgebrauch erhob, alles das darf von
ihm unberücksichtigt bleiben. insgemein aber hat es
vielmehr den ableitungen als den zusammensetzungen,
vielmehr den einfachen wörtern als den abgeleiteten
nachzustreben, und dieses grundcanons hintansetzung
ist es, die unsre deutschen wörterbücher bei dem schein
ihres reichthums bisher noch so arm gelassen hat. jedes
einfache wort wiegt an gehalt funfzig ableitungen
und jede ableitung zehn zusammensetzungen auf.
15. Partikeln.
Eigne rücksicht fordert der antritt der partikeln vor
andere wörter. wenn überhaupt alle wörter ursprünglich
innere bedeutung hatten, die sich in der folge ausdehnte
und verdünnte, so scheint es, musz man zugeben,
dasz in den partikeln sie am meisten verdunkelt
liegt, diese unter allen einfachen wörtern in der sprache
die abgezogensten, mithin auch die zujüngst gebildeten
sind. setzen wir einmal das verbum als wurzel und
lassen unmittelbar aus ihm ein particip, aus dem particip
ein adjectiv, aus dem adjectiv das substantiv erwachsen;
so wird den partikeln vorwaltend nominale
geltung einzuräumen, diese aber am entschiedensten
im adverb und in der praeposition ausgeprägt sein. erkaltet
auch die praeposition, büszt sie ihre rectionskraft
ein, so bleibt eine blosze adverbialpartikel als leblosester
bestandtheil der sprache zurück. das wäre zwar
der regelmäszigste verlauf, ist aber gewis nicht der
einzige, da wir oft das verbum ohne allen umweg in
die bildung des substantivs oder auch adverbs vorschreiten
sehn und jene blosze partikel wieder regierend,
d. h. zur praeposition erhoben werden kann.
diese sätze zu begründen und näher auszuführen liegt
uns hier nicht ob, wo es nur auf den verhalt der praeposition
zur adverbialpartikel abgesehn ist.
Dasz die praepositionale partikel voller, die adverbiale
leerer sei, leuchtet schon aus der verschiedentlich
gekürzten gestalt der letzten ein. bei und vor
wiegen noch mehr und liegen ihrem ursprung etwas
[xliv]
näher als be und ver, doch können auch bei und vor
bloszes adv. sein und mit andern wörtern verbunden
werden, gerade wie die schwed. praep. at, die sich von
der conjunction att unterscheidet, in die zusammensetzung
tritt.
Ich habe gesucht nachzuweisen, dasz unsern zusammensetzungen
der verba mit adverbialpartikeln groszentheils
wirkliche praepositionen zum grunde lagen, hinter
welchen der sprachgebrauch ein subst. oder pronomen
ausfallen liesz. absteigen scheint hervorgegangen
aus einem lebendigeren ab dem rosse, ab dem wagen
steigen, anbeiszen aus einem an das brot, an den
apfel beiszen. nicht anders bedeutete ausschliefen,
auskriechen aus dem ei schliefen, aus der schale kriechen,
übersehn über einen hinaus sehn, zutreten zu
einem hintreten. Opitz
sagt 1, 161
schawt dann den pfawen zu, siht wie die stolzen hanen
die hüner ubergehn |
d. i. über die hüner gehen, sie treten; unser heutiges
einen anfechten wurde mhd. häufig ausgedrückt an
einen vehten, z. b.
der wurm an in vaht.
krone 13490;
merkenswerth werden in folgender stelle der adverbiale
und praepositionale ausdruck hintereinander angewandt:
greif die von Limpurg an und sie wider an
in. Limb. chron. §. 9. eben weil der ausdruck mit
der praeposition vollständiger ist, scheint er auch älter
als der mit dem adv., wobei man sich oft erst das subst.
oder pron. hinzuzudenken hat. durch dessen unterbleiben
ist freilich die zusammensetzung freier und vielseitiger,
für alle substantiva gerecht geworden.
Unsere sprache hat die eigenheit, dasz die meisten
solcher mit dem verbum verbundnen partikeln in gewisser
lage der rede trennbar werden und nachtreten:
im unbestimmten und bedingten ausdruck stehn sie
voran, im bestimmten, unmittelbaren nach. gibt dieser
nachtritt nicht zu erkennen, dasz in der freistehenden
partikel die praepositionskraft länger waltete? beim
zuruf steig ab! oder wenn es heiszt ich steige ab, ergänzt
sich die vorstellung des erwarteten subst. leicht,
nicht aber inmitten des zusammengesetzten wortes absteigen.
diese, und schon mhd. ahd. freie und wechselnde
wortstellung tritt hier als zeuge auf für den eingeschlagnen
weg. im latein, wo die partikel bei jeder
wendung der rede ihre feste lage behauptet, läszt sich
die wahrnehmung nicht machen, fast auch nicht in
der goth. und ags. sprache, die gleichfalls feste partikelcomposition
haben. doch sind ein paar goth. ausnahmen
(bei inn, iup und ut, also entschiednen adv.)
gramm. 2, 899 angeführt, und das ags. onlaedan, utfindan
dreht sich heute um in engl. lead on, find out.
In unsern heutigen redensarten: lege mir das kleid
an, gürte mir das schwert an, hindert der persönliche
dat. den bezug auf ein praepositionales an; die alte
sprache sagte aber mit doppeltem acc. lege mich das
kleid an, gürte mich das schwert an, und dann läszt
sich leicht. zurückkommen auf lege das kleid an mich,
gürte das schwert an mich.
Transitiv macht die partikelzusammensetzung nicht
gerade das verbum, sondern besteht auch in intransitiven
fort, z. b. anbeiszen ist eben so wol als das einfache
beiszen beider bedeutungen, der intransitiven wie
[xlv]
transitiven fähig. wo aber, wie oft der fall ist, transitive
eintritt, wird das beim einfachen intransitiv stehende,
von der praep. abhängende subst. nunmehr vom
transitiven verbum abhängig: insofern läszt sich annehmen,
dasz diese zusammensetzung der transitivbedeutung
günstig sei (vgl. z. b. sp. 518). obenhin angesehn
ist es gleichviel zu sagen an den apfel beiszen
oder den apfel anbeiszen, an einen stoszen oder einen
anstoszen. allein der transitive ausdruck ist einfacher
und beide können auch im sinn von einander abweichen.
vergleichbar läge etwa das lat. movere e cardine
und emovere cardine, wo doch beide verba transitiv sind.
Lange nicht bei allen partikelzusammensetzungen ist
ein zurückgehn auf die praep. thunlich, namentlich bei
denen mit auf und aus, welche ursprünglich gar keine
praepositionen waren, auch in der composition oft noch
reinadverbiale bedeutung zur schau tragen. so liegt in
den oben sp. XXV besprochenen aufdonnern, aufschreien
ein deutliches aus dem schlaf empor, in die höhe fahren
machen. den wein austrinken will nicht sagen aus
dem glase trinken, sondern vollends heraus trinken, wie
es auch heiszt das glas austrinken; der gegensatz ist
antrinken, anessen, anheben zu trinken oder zu essen.
Wie im griechischen ist auch im deutschen die freiheit
der partikelzusammensetzung unermeszlich, und
wenn irgendwo mag hier der analogie ein groszer
spielraum offen stehn. heiszt es andonnern, anregnen,
anschneien, warum soll nicht gesagt werden können
anblitzen, anleuchten, anglänzen u. s. w.? grundsatz
war auch für solche bildungen immer erst genügenden
beleg abzuwarten, es ist aber nicht zu leugnen,
dasz ihrer viele entgangen und in diesen reihen
manche ergänzungen nachzutragen sein werden. auszittern
hat auch Gotthelf
(eh die teller ausgezittert.
erz. 1, 199), er sagt auch austobacken.
16. Worterklärung.
Hinter allen abgezognen bedeutungen des worts liegt
eine sinnliche und anschauliche auf dem grund, die bei
seiner findung die erste und ursprüngliche war. es ist
sein leiblicher bestandtheil, oft geistig überdeckt, erstreckt
und verflüchtigt, alle worterklärung, wenn sie
gedeihen soll, musz ihn ermitteln und entfalten.
Aufzusuchen ist er vor allem in dem einfachen verbum
und wiederum zuerst in dem starken. das schwache
verbum ist nothwendig ein abgeleitetes und jede
ableitung bringt den urgehalt des worts in veränderte
lage, jedes hinzutretende andere wort, auch wenn die
starke form fortbesteht, fügt seiner bedeutung hinzu.
das starke verbum ist zugleich ein hauptsitz des intransitivbegriffes:
liegen jacere, legen ponere; sitzen
sedere, setzen collocare. essen aber, wie edere, trinken
wie bibere hat beides intransitiven und transitiven
sinn, doch ätzen ist essen machen, tränken trinken machen.
greifen und treten drücken die einfachste, natürlichste
bewegung der hand und des fuszes aus, bald
intransitiv, bald transitiv. essen und trinken meinen
immer ein zu sich nehmen, doch braucht nicht nothwendig
an den mund gedacht zu werden, auch die erde
trinkt den regen, der gram iszt das herz; ätzen weicht
aus in den sinn des beizens, das von beiszen stammt.
greifen und treten sind kaum ohne hände und füsze
denkbar, zum letzten mittel greifen, zur ehe greifen
[xlvi]
bezeichnen ursprünglich ein erfassen leiblicher hülfe,
ein ergreifen der braut; ans licht treten heiszt hervor
treten und erscheinen.
Wie viel stärker und schneller ändert sich die sinnliche
bedeutung, wenn auch noch von ihr ausgegangen
wurde, durch den vortritt von partikeln. besitzen wird
possidere, betreten deprehendere, antreten suscipere,
belegen contegere, sternere, begreifen tractare, comprehendere,
anlegen admovere, adhibere, anliegen curae
esse, flagitare, auslegen explanare u. s. w.
Es ist klar, aus dem sinnlichen gehalt des wortes
ergeben sich bei seiner anwendung sittliche und geistige
bezüge oder vorstellungen, denen allmälich die
fülle seiner abgezogenen bedeutungen entnommen wird.
der umgedrehte fall, dasz aus den manigfachen begriffen
tractare, adhibere, explanare die benennung des sinnlichen
entsprungen sei, läszt sich nicht annehmen.
Diese sinnlichen bedeutungen anzugeben und voranzustellen
ist in dem ganzen wörterbuch gestrebt worden,
es war aber unmöglich überall den bezeichneten
weg einzuschlagen, da es manche einfache und selbst
starke verba gibt, deren sinnlicher gehalt nicht mehr
deutlich vorliegt und schon in ihnen beimischungen
empfangen hat, dann aber auch eine beträchtliche zahl
von wörtern in der sprache vorhanden ist, zu welchen
das verbum mangelt, d. h. erst durch tiefere forschung
gefunden werden kann. so verbergen uns z. b. die
verba sein und wesen den sinnlichen grund, auf dem
sie ruhen, und es ist schwer ihn auch bei geben oder
finden sicher darzulegen. war geben ein legen in die
hand oder vielleicht ein gieszen ins gefäsz? war finden
ein ersehen oder erkennen oder nur ein hinzukommen?
lesen mehr ein sammeln oder ein sondern? welches
verbum, also welcher sinn darf aber gesucht werden
in substantiven kind oder sohn, tochter? ihre bedeutung
ist allbekannt, doch nichts als eine abgezogne, den
begriffen, die sie ausdrücken, beigelegte. noch schwerer
hält es zu wissen, welche vorstellung ursprünglich
hinter sünde oder glaube, hinter frei oder dumm und
zahllosen andern lag; am allerdunkelsten bleiben die
partikeln. hier kann die worterklärung immer nur
ganz kleine strecken des wegs zurücklegen und musz
sich auf der oberfläche halten.
Der worterklärung, wie sie auch beschaffen sei, kann
kein wörterbuch entbehren; es ist vorhin schon gesagt
worden, dasz wir sie in den seltensten fällen durch definition,
in den meisten durch ein lateinisches wort mit
einem schlag zu treffen gesucht haben. sie ist nur die
erste ernte auf dem gebiet der sprache, wo der halm
an dem boden abgeschnitten wird, tiefer dringen musz
die wortforschung und auch die wurzel ausziehen.
Beim beginn des werks schien noch steif und raumverschwendung,
die verschiedenheit der bedeutungen
in beigefügten zahlen hervorzuheben, wodurch auch
hin und wieder die fugen des zusammenhangs versteckt
werden könnten. bald aber stellte sich heraus, dasz
kein gröszerer artikel solcher zahlen entbehren durfte
und dasz auch die kleineren dabei mehr gewönnen als
verlören. es ist daher in dieser hinsicht mehr gleichförmigkeit
eingetreten, die man nur in den ersten lieferungen
zuweilen vermissen wird.
17. Wortforschung.
[xlvii]
Etymologie ist das salz oder die würze des wörterbuchs,
ohne deren zuthat seine speise noch ungeschmack
bliebe: man mag auch manches gern roh genieszen
und lieber als versalzen.
Diese kunst steht übel in ruf, weil es nah lag sie
früh, schon im bloszen wortspiel, zu versuchen und
zu misbrauchen. ihre regeln hat sie lange nur geahnt
und ist derselben unbewust geblieben; immer werden
neue hinzu erfunden.
Man kann ein wort aus sich selbst und seinem unmittelbaren
kreise verständigen, aber auch die nahen
geschlechter und reihen zuziehen, von da wurde zu
den umliegenden mundarten und sprachen vorgeschritten.
sobald sich ein zusammenhang mehrerer sprachen
wahrnehmen und endlich überschauen liesz, entsprang
mit vorher ungekannten gesetzen und ergebnissen
sprachvergleichung, wie oben gesagt wurde, wissenschaftlich
begründet erst durch die druckerei und
die wörterbücher.
Die deutsche sprache hängt in einer kette, die sie
mit den meisten europäischen verbindet, dann aber zurück
nach Asien leitet und gerades wegs bis auf das
sanskrit, das zend und das persische reicht. hieraus
geht eine fülle von erscheinungen und verhältnissen
hervor, die sich bald einigen lassen, bald als eigenheiten
einzelner sprachen von einander gehalten werden müssen.
auch sind nicht wenige glieder der groszen kette
ausgefallen und verloren, so dasz manche übergänge
nur sprungweise zu bewerkstelligen sind. jede sprache
besitzt in sich eine natürliche heilkraft und der durch
ihre losreiszung von andern entstandne schade verharscht
und überwächst allmälich, wobei es ohne ausgleichungen
und mittel nicht abgehn kann, die künftig
mit unter ihre besonderheiten zählen. es kommt darauf
an die grenze zu erkennen, wo ihre eigenthümlichkeit
aufhört und sie wieder unter dem allgemein waltenden
gesetz der übrigen sprachen steht, mit welchen
sie verwandt ist.
Die lateinische und griechische sprache legen uns
einen groszen schatz classischer denkmäler vor augen,
aus welchen eine fülle grammatischer regeln zu schöpfen
und theilweise auf unsre eigne anzuwenden ist. nur
war man gewohnt, diese regeln gebieterisch aufzustellen
und ihnen alle einheimischen verhältnisse zu unterwerfen,
statt solche selbst gewähren zu lassen; die aus
dem studium des sanskrit erwachsne philologie ist gerechter
und behandelt alle übrigen sprachen auf gleichem
fusz. dennoch erwirbt ihm die lauterkeit und
das hohe alter seiner quellen ein natürliches und gebührendes
ansehen, vermöge dessen es berufen scheint,
die unsicherheit der laute und wurzeln zu schlichten;
ein gerichtshof aber wird auch die kraft der streitigen
sache und ihrer gründe walten lassen, bevor er sie entwirre.
wie weit immer die aussichten seien, die dem
überraschten blick des sprachforschers das sanskrit eröfnet,
wie zutreffend eine menge der aus ihm gewonnenen
und gewinnbaren etymologien, so verbleibt doch
auch jeder der urverwandten sprachen ihre eigne durchsichtigkeit,
die an bestimmter stelle wirksam sein musz.
die inneren, den wortbedeutungen wärmer angeschlossenen
ergebnisse scheinen mir zuweilen den scharfsinnigsten
vermutungen überlegen, die auf die bloszen
[xlviii]
lautverhältnisse und den weitgreifenden wechsel oder
ausfall einzelner consonanten gegründet werden: setzt
man ein R statt L, ein S statt R, ein L statt D und gestattet
dem B und G, dem P und K zu tauschen, dem
anlautenden K abzufallen, so ist plötzlich das aussehen
eines worts verändert. bei unsern deutschen wörtern
musz es recht sein vor allem zu versuchen, ob sie nicht
auch innerhalb dem deutschen gebiet selbst sich erklären
lassen, das zwar nur engere, der natur der sache
nach oft sichrere schritte zu thun erlaubt.
Steht uns die wurzel vieler wörter bis auf heute noch
offen vor augen, warum sollte nicht auch die getrübte
und verdunkelte zuerst mit unsern eignen mitteln erhellt
werden können? die spinne heiszt so, weil sie spinnt
und webt, die fliege, weil sie beständig vor unsern augen
umfliegt, die nachtigall, weil sie nachts singt, die
heuschrecke vom springen auf dem heu; band oder
binde stammt von binden, boge von biegen, bote von
bieten; scholle ist die im niederfall schallende erde,
gleba; stiege und steg fallen zu steigen; brunne, brand,
brunst zu brinnen; trieb und trift zu treiben; staub zu
stieben; und so erkennen noch eine menge andrer wörter
in unsrer sprache selbst lebendige wurzeln. oft
wenn auch heute untergegangen, oder nicht mehr in
einfacher gestalt vorhanden, sind sie mhd. oder ahd.
bestimmt aufzuweisen und die zurückführung unseres
gebären, geburt, bahre, barm, gebärde, bürde u. s. w.
auf das alte bëran leidet nicht den mindesten zweifel,
ehmals gehörten auch noch barn kind, biril tragkorb,
berian ferire, goth. baris far, bêrusis parens derselben
wurzel, warum sollte ihr nicht ahd. pero, unser
bär überwiesen werden dürfen? möglichkeit ist da,
den beweis kann nur die analogie anderer benennungen
desselben thiers in fremden sprachen vollführen.
eben weil das deutsche wort nichts zu schaffen hat mit
ṛika, ursus, ἄρκτος
und lokis, musz ihm eine abweichende
vorstellung unterliegen.
Die wurzel bëran haben wir mit den meisten urverwandten
völkern gemein, viele ihrer andern wörter
begegnen dem deutschen, ohne dasz uns oder ihnen
die wurzel geblieben wäre. ein beispiel ist das durch
alle unsere dialecte ziehende wort fisch, lat. piscis,
welsch pysg, armor. pesk, ir. iasg (gen. eisg), alban.
peskou, piskou, gr. ἰχϑύς,
altpreusz. sucks, lett. siws,
litt. źuwis, sl. rʾʾiba, ryba,
offenbar für źyba, doch absteht
das finn. kala, est. kalla, lapp. qwele, ungr. hal.
es ist undenkbar, dasz ein solches wort entlehnt wurde,
alle müssen es als eignes geführt haben. zur wurzel
könnte doch das litt. źwyna schuppe = źuwyna leiten
und selbst schuppe, mhd. schuope, ahd. scuopa mit
dem anlaut sc, den auch squama weist, in berührung
stehen. denn die schuppe ist eine auffallende eigenheit
der fische, wie es auch bei Athenaeus p. 308 heiszt
ἔλλοπες, διὰ τὸ εἶναι λεπιδωτοί. piscis für iscis =
squamosus, welchem iasg zunächst träte,
ἰχϑύς wäre
für ἰσϑύς oder
ἰστύς, ἰσκύς.
Bei einem andern thiernamen, wo grosze einstimmung
der sprachen herscht, läszt uns gerade die deutsche
in die wurzel blicken. unserm wolf, goth. vulfs,
altn. ulfr entspricht das lat. lupus = ulpus, gr.
λύκος
= ὔλκος, wofür doch attisch
ὕλκος gesetzt worden
wäre, litt. wilkas, sl. vlʾʾkʾʾ,
der wolf aber ist ein räuber
[xlix]
und das goth. vilvan valv bedeutet rauben, Matth. 7, 15
sind vulfôs vilvandans die λύκοι ἅρπαγες, vilva ist
raptor, vulva rapina, fravulvans abreptus. nur steht
dies vilvan für vilfan oder vilban, und valvjan = volvere,
wie es den buchstaben nach sein sollte, kann dem sinne
nach unmöglich daraus geleitet sein. hier scheint das
F erweicht in V, wie umgekehrt goth. fraiv zu altn. friof
erhärtet. der skr. ausdruck lautet aber vṛka, zend.
vehrkô, pers. gurk, mit R statt L, dem litt. sl. wilkas,
vlk zunächst tretend, auch ist ein sabinisches irpus oder
hirpus aufbewahrt, das sich zu jenem ulpus verhält wie
vrka zu vlk, noch ähnlicher wird das ungr. farkas, wolf.
merkwürdig tritt nun auch diese, wahrscheinlich ältere
gestalt in unsern sprachen lebendig vor, denn das altn.
vargr, schwed. varg meint geradezu lupus, das ahd. warac
latro, damnatus, das goth. gavargjan damnare, d. i.
zum varg erklären. man übersehe nicht, dasz vargs
auf andrer stufe der lautverschiebung steht als vulfs,
diesem G hätte ein gr. X = CH zu entsprechen und
vargs musz, wie auch der abweichende vocal zeigt, sich
schon sehr frühe von vulfs entfernt haben. nicht weniger
besitzen die sl. sprachen dasselbe vrag im sinne
von feind und teufel. dem vṛka ist also beides, das goth.
vargs und vulfs, das sl. vrag und vlk entsprossen.
Wolf und fuchs berühren sich vielfach, und sonst
hielt ich auch vulpes für dasselbe wort, = ulpes. doch
hat es Burnouf
dem zend. urup, pers. rubat hund verglichen,
wiederum der wurzel lup = rup, rauben überwiesen,
welcher noch sichtbarer das finn. repo fuchs,
altn. refr, schw. räf, sp. raposo angehört, so dasz die
verwandtschaft zwischen wolf und fuchs auf anderm
wege gleichwol vorbräche. ἀλώπηξ
deutet man λώπηξ
= skr. lôpââ, lômaâ
pilosa, was sich dem sinne von
fuchs und fohe (fauhô) nähert, wenn sie mit fahs pilus,
skr. pakman zusammenhängen, und vulpes liesze sich
dann ausdehnen zu volupex, Ϝαλώπηξ, das ist noch unsicher,
würde aber die ergibigkeit unserer sprache von
neuem kundthun.
Mich dünkt, je weiter die etymologie vorschreitet,
wird sie die zahl der wurzeln nicht zu mehren, sondern
zu mindern geneigt und im stande sein, sie wird mittel
und wege finden, durch welche der übergang von einzelnen
wurzeln zu einander erleichtert und über die
geschlagne brücke hin zwischen beiden gemeinschaft
gestiftet werden kann. in jeder sprache müssen dann
einzelne wurzeln an umfang und reichthum auszerordentlich
gewinnen.
Eine derselben in unsrer sprache scheint mir z. b. die
wurzel bauen, aus der ich mehr abzuleiten wage, als
bisher geschehen ist. erwäge ich gleichwol den unleugbaren
zusammenhang zwischen bauen und sein,
thun und werden, wohnen und warten, so halte ich die
kühnheit für an der rechten stelle. baun und baum
sind sich ähnlich wie zwei wassertropfen und der gleiche
vortritt des kehllauts in facere und bagms hat etwas
entscheidendes; meine auslegungen von biene und
biber erreichen was die plastik ihrer begriffe begehren
kann, und ich sehe nicht wie man treffenderes an die
stelle setzen möchte, warum soll erst auf weiten umwegen
gesucht werden, was unmittelbar in unsrer nähe
liegt? ich füge hier noch hinzu, dasz bibaru, bibrus,
altn. bior auch reduplicativ zu erfassen wäre, gleich
[l]
ciconia cicada fifaltra, ganz wie bauan bio aus bauan
baibô, facere feci aus fefac (nach dem oscischen fefacust
= fecerit) entsprang. selbst auf bîa und biene würde
diese erklärung anwendbar sein.
In den praepositionen liegen noch schwere rätsel
und wer die rechte witterung von ihnen hat, wird auf
nominalbegriffe und leibliche substantiva stoszen. damit
dasz man weisz, bei sei skr. abhi und bhi, gr.
ἀμφί,
ahd. umpi und pi, ist uns der eigentliche sinn und gehalt
der partikel unerschlossen. mir boten sich bei =
bau, aus den neuen sprachen vorerst casa und altn. hiâ
dar; auch in strebt zu inn haus, nicht umgekehrt darf inn
aus in gedeutet werden. unser nach gehört zu nahe,
bei wohnend; unser and, ent zu andi, endi frons; unser
pah tergum, ags. bäc, altn. bak gibt den schlüssel
zum skr. patscha, paća a tergo, altn. â bak, alts. te
baka retro, ags. on bäc, und zum lat. post, litt. pakala
tergum, paskuy post, pasturas postremus, posterior,
posticus, noch eine andere merkwürdige deutung flieszt
aus demselben pah.
Das durch die gesamte deutsche sprache hin bis auf
heute, freilich kaum erkenntlich fortdauernde persönliche
wort andbahts, ampaht, minister, servus ist von
bak tergum, wie sahts von saka, sakan, sauhts von
siuks, vaurhts von vaurkjan gebildet, ein so altes sinnliches
wort wie bak musz viele ableitungen aus sich
entfaltet haben. andbahts ist der im rücken oder an
der seite zu schutz und beistand haltende diener und
genosse, wie dieselbe vorstellung auch im sinnlichen
begrif der ausdrücke beistand, rückenhalter, ahd. nôtigistallo,
ags. eaxlgestealla und andern mehr enthalten
ist. einen bestehn, angehören hiesz bei ihm stehn, um
ihn stehn, auf ihn hören, ihm gehorchen.
Hans Sachs
II. 2, 252d
gott geb euch auf die reis gelück
und halt euch euer engel rück! |
euer schutzengel geleite euch, stehe euch zur hülfe im
rücken, halte hinter euch. altn. bakiarl ist rückenmann,
der im rücken, hinter uns folgt, pedisequus, sowol ein
diener, als ein lauernder feind, hostis a tergo infestans;
bakdyr fores posticae; baka bât bedeutet dorso naviculam
propellere. schon vor dem beginn unsrer zeitrechnung
war ambactus den mit Germanen verkehrenden
Galliern geläufig, durch sie den Römern bekannt geworden.
was thut Zeusz? ohne unser andbaht zu
nennen, hält er (gramm. celt. 761) zu ambactus lieber
den dunkeln pflanzennamen exacon und das lat. agere,
exigere, womit die vorstellung von ambactus, circumactus,
was comes, servus sein soll, erzwungen wird,
eher noch hätte sich Ambigatus aus Livius 5, 34 und
Ambiorix herholen lassen, die er s. 7. 75 nur der partikel
amb wegen anführt. von einem solchen lat. ambactus,
das in keiner keltischen sprache haftet sollen
alle deutschen stämme ihr eingewurzeltes und vollkommen
deutbares andbaht in frühster zeit entnommen
haben? man hat die skr. wurzel bhadsch dividere, petere,
colere, facere zu andbaht verglichen; da sie auch
coquere bedeutet, also unserm backen entspricht, würde
andbahts eher einen koch oder becker als einen diener
und genossen ausdrücken können. bak rücken auf
bhadsch zu beziehen hindert aber jenes skr. patscha.
Mit allem schein der wahrheit pflegt man nomen der
[li]
skr. wurzel dschnâ noscere zu überweisen, nomen ist
gnomen, merkmal, kennzeichen, weil man andere am namen
erkennt. dafür sprechen auch agnomen cognomen
agnosco cognosco und gnarus, ja statt des G erschiene
vocalvorschlag im gr. ὄνομα, alban. emeni, ir. ainim.
harte anmutung ist es doch, schon das skr. nâman aus
dschnâ, ὄνομα aus γνῶναι, sl. imia aus znati, unser
namô, namo aus chnâhan herzuleiten, da beiden letztern
einfach die wurzel niman und imjati capere, accipere,
prehendere, habere zur seite steht und seinem begriffe
nach namo das empfangne, zugetheilte, angenommne
ist, niman das gr. νέμειν capere, possidere,
habitare. entweder müste auch niman aus dschniman
entspringen oder lieber für nâman schon ein übertritt
aus der wurzel dschnâ zu der von nam, das im skr. inclinare,
flectere ausdrückt, behauptet werden. für
solchen wechsel der form und bedeutung stehn auch
sonst genug beispiele zu gebot.
Unser habicht, ahd. hapuh, ags. hafoc, altn. haukr
ist ganz das welsche hebog, ir. seabhag, welche letzteren
wurzellos sind, habicht aber scheint mit haben und
heben capere vereinbar, der raubvogel ergreift und hält,
wie auch accipiter ab accipiendis hoc est capiendis avibus
heiszen soll und mlat. acceptor und capus dafür
gesagt wurde. accipitrare steht bei Gellius 19, 7 =
lacerare. doch schöner deutet man den ersten theil
von accipiter aus skr. âu, gr.
ὠκύ, und in piter schiene
patra, patatra, πτερόν, ala gelegen,
ganz wie sich ἴρηξ ὠκύπτερος verbinden, von des
vogels schnellem, kreisenden
fluge ist auch κίρκος, vielleicht
ἱέραξ geleitet,
selbst in aquila könnte acui-ala enthalten sein, wie acupedius
bei Festus ὀξύπους ist,
Miklosich findet ebenwol
im sl. jastrebʾʾ, poln. jastrzb, böhm. gestřab ein
verlornes jast = âu zu rjab perdix gefügt. dem lautverhältnis
nach wird âsu oder ὠκύ zu goth. êhu, ôhu,
wie skr. ava, lat. equus, das schnelle pferd zu aihvu,
alts. ehu, und skr. pasu, lat. pecu zu faihu, ahd. fihu,
ja man möchte auch aqua, goth. ahva, ahd. aha für das
schnell flieszende erklären, lautete hier nicht die skr.
form ap, was auf andere vergleichungen führt. sollte
in hapuh und habicht das anlautende H noch übrig sein
von jenem verschollnen êhu, ôhu? dann würde die
herleitung aus haben und heben verdächtig, so dunkel
auch das übrige wort bliebe.
Auf diesem wogenden meer der sprachen tauchen die
wörter empor und versinken, die etymologien schwellen
an und zerrinnen. oft lauft in geregeltem wechsel
eine form durch alle reihen,
nam ex uno puteo similior nunquam potis
aqua aquai sumi, quam haec est atque ista vox,
|
und dann treten wieder schroffe verschiedenheiten, lücken
und abgründe in den weg, dasz die vergleichung,
die man schon fest zu halten wähnte, wieder entschlüpft.
In einem deutschen wörterbuch schien es
pflicht, allen mitteln und handhaben nachzugehn, die
unsere sprache selbst darreichte und diesen standpunct
werden auch solche hier erwarten, die ihm geringern erfolg
zutrauen und lange nicht alles einzuräumen geneigt
sind. mit dem fortschritt der forschung werden neue
ergebnisse eintreten, denen selbst die mängel einer redlich
angesetzten arbeit zu reiz und antrieb gereichen.
18. Sitten und bräuche.
[lii]
Manche wörter konnten weder aufgestellt noch erklärt
werden, ohne dasz auf die lebensart oder denkweise
der vorzeit und des alterthums eingegangen
wurde, deren genauere kenntnis auch groszentheils
von der kunde der sprache abhängt. darum liefern die
idiotiken, wenn sie mit Schmellers fleisz und feinem
verstand abgefaszt sind, so werthvolle beiträge für geschichte
und sitte der gegenwart und der vorausgegangnen
jahrhunderte.
> Ich hebe hier nur unerschöpfende beispiele solcher
wörter aus, die den gebrauch oder glauben des volks
erläutern: abcschütz, abendbrot, abenteuer, ablasz,
Adam, adebar, aderlaszmännchen, agen schütten, alfanz,
allemann, allerleirauh, alles aller in flüchen, allmende,
alp, alraun, altfränkisch, altreise, angster, ankenbraut,
anlaster, anrichte, aschenbrödel, ausbund,
axthelm, babe, bachant, bachmatt, backenstreich, backfisch,
bad, badehre, badschild, bank, bankhart, bankriese,
banse, bar, baretleinsleute, baretteller, bärenhäuter,
barlaufen, barn, bart, base, bastart, batz, bauernschritt,
baummeise, bausch, becher, bechten, beckelhaube,
begabeln, begine, behaupten, beicht, beifrau,
beilen, benne, bergens spielen, bergrind, bergwurzel,
berichten, bescheid, bescheidessen, beschütten, besen,
beste, bestechen, bestricken, betteln, bettelmann, bettelstab,
bettelmantel, bettlertanz, betzel, beunde, beuten,
biberschwanz, bickel, bienenwolf, bier.
Gelangt das ganze werk einmal zu seiner vollendung,
so wird es angemessen sein, wie bei Ducange geschehen
ist, ihm verzeichnisse und register verschiedner art
anzuhängen, in welchen man die einzelnen gebräuche
so wie alle hervorragenden wörter und ausdrucksweisen
der einzelnen stände sorgfältig geordnet überschauen
kann.
19. Schreibung und druck.
Es verstand sich fast von selbst, dasz die ungestalte
und häszliche schrift, die noch immer unsere meisten
bücher gegenüber denen aller übrigen gebildeten völker
von auszen barbarisch erscheinen läszt, und einer
sonst allgemeinen edlen übung untheilhaftig macht, beseitigt
bleiben muste.
Leider nennt man diese verdorbne und geschmacklose
schrift sogar eine deutsche, als ob alle unter uns
im schwang gehenden misbräuche zu ursprünglich deutschen
gestempelt, dadurch empfohlen werden dürften.
nichts ist falscher, und jeder kundige weisz, dasz im
mittelalter durch das ganze Europa nur éine schrift,
nemlich die lateinische für alle sprachen galt und gebraucht
wurde. seit dem dreizehnten, vierzehnten jahrhundert
begannen die schreiber die runden züge der
buchstaben an den ecken auszuspitzen und der beinahe
nur in rubriken und zu eingang neuer abschnitte vorkommenden
majuskel schnörkel anzufügen.
Die erfinder der druckerei gossen aber ihre typen
ganz wie sie in den handschriften üblich waren und so
behielten die ersten drucke des 15 jh. dieselben eckigen,
knorrigen und scharfen buchstaben, gleichviel ob für lateinische
oder deutsche und französische bücher bei.
mit ihnen wurden dann auch alle dänischen, schwedischen,
böhmischen, polnischen bücher gedruckt. dennoch
führte in Italien, wo die schreiber der runden schrift
treuer geblieben waren und schöne alte handschriften
[liii]
der classiker vor augen lagen, schon im 15 jh. in vielen
druckereien ein reinerer geschmack die unentstellten
buchstaben für die lateinische oder vulgare sprache
zurück, und nun lag es an den andern völkern diesem
beispiel zu folgen. beim latein gab es keinen ausweg,
und im 16 jh. drang auch für die aus französischen und
deutschen pressen hervorgehenden classiker die edle
schrift durch, die gelehrten hielten darauf. dagegen
bestand die schlechte für das volk, das sich an sie
gewöhnt hatte, fort, in Frankreich eine zeitlang nur, in
Deutschland entschieden und durchaus, hiermit war
ein schädlicher unterschied zwischen lateinischen und
vulgarbuchstaben festgesetzt, der nicht nur in den druckereien
galt, sondern auch in den schulen angenommen
wurde. deutsch aber kann diese vulgarschrift immer
nicht genannt werden, da sie auszer Deutschland
auch in England, in den Niederlanden, in Scandinavien
und bei den Slaven lateinischer kirche herschte. Engländer
und Niederländer entsagten ihr allmälich ganz,
die Polen haben sich gleichfalls von ihr losgerissen, die
Böhmen und Schweden heutzutage meistentheils, sie
besteht gegenwärtig nur, auszerhalb Deutschland, in
böhmischen und schwedischen zeitungen, in Dänemark,
Liefland, Littauen, Estland und Finnland, wo doch alle
schriftsteller geneigt sind, zur reinen lateinischen schrift
überzutreten, auch meistens schon übergetreten sind.
Die unnütze festhaltung der vulgarschrift führt grosze
nachtheile mit sich,
a) sie ist zumal in der majuskel unförmlich und das
auge beleidigend, man halte 𝔄 𝔅 𝔇 zu A B D und so
werden überall die einfachen striche verschnörkelt, verknorzt
und aus der verbindung gerissen. die umgedrehte
behauptung, dasz diese schrift dem auge wol thue,
geht blosz aus übler und träger gewohnheit hervor.
b) sie ist es, die den albernen gebrauch groszer buchstaben
für alle substantiva veranlaszt hat, wie nachher
gezeigt werden soll.
c) sie nöthigt in den schulen die zahl der alphabete
zu verdoppeln, jedes kind musz für éin zeichen achte
lernen, zum beispiel E e &Escript; &escript; 𝔈 𝔢 &Esuett;
&esuett;, wo die hälfte ausreichte.
denn neben der stehenden, unverbundnen bedarf
es einer flieszenden verbundnen, mit jener wird
gedruckt, mit dieser geschrieben.
d) sie zwingt in Deutschland alle druckereien sich
mit dem zwiefachen vorrat lateinischer und deutscher
typen auszurüsten, während in Italien, Frankreich
u. s. w. latein und vulgar mit denselben gesetzt wird.
e) sie kann den unterschied der majuskel I und J
nicht ausdrücken, und musz für beide 𝔍 verwenden,
auch entgehn ihr die accente.
f) sie hat durch die verbindung die falsche auflösung
in ſs und ss herbeigeführt, so dasz einfältig derselbe
laut anders ausgedrückt ist, je nachdem deutsch
oder lateinisch geschrieben oder gesetzt werden soll,
wovon nachher noch näher zu reden sein wird.
g) sie hindert die verbreitung deutscher bücher ins
ausland, und ist allen fremden widerwärtig.
Alle schrift war ursprünglich majuskel, wie sie in
stein gehauen wurde, für das schnelle schreiben auf
papyrus und pergament verband und verkleinerte man
die buchstaben, wodurch sich die züge der minuskel
mehr oder minder abänderten. aus den mit dem pinsel
[liv]
hinzugemahlten initialen der handschriften entsprang
die verbogene und verzerrte gestalt der majuskel, die
in den ältesten drucken auch noch nicht gesetzt, sondern
mit farbe eingetragen wurde. in lateinischen büchern
blieben auszer den initialen nur die eigennamen
durch majuskel hervorgehoben, wie noch heute geschieht,
weil es den leser erleichtert. im laufe des 16
jh. führte sich zuerst schwankend und unsicher, endlich
entschieden der misbrauch ein, diese auszeichnung
auf alle und jede substantiva zu erstrecken, wodurch
jener vortheil wieder verloren gieng, die eigennamen
unter der menge der substantiva sich verkrochen und
die schrift überhaupt ein buntes, schwerfälliges ansehen
gewann, da die majuskel den doppelten oder dreifachen
raum der minuskel einnimmt. rechnet man hinzu,
dasz die deutsche sprache insgemein zur verdoppelung
der buchstaben und einschaltung unnöthiger dehnlaute
geneigt ist, für ihre häufigen verbindungen ch sch und sz
aber einfacher zeichen entbehrt, so begreift sich, wie
die darstellung unsrer laute so breit ins auge fällt, was
bei versen oder wenn eine fremde sprache daneben
steht am sichtbarsten wird. kürze und leichtigkeit des
ausdrucks, die im ganzen nicht unser vorzug sind, weichen
vor diesem geschlepp und gespreize der buchstaben
völlig zurück. meinestheils zweifle ich nicht an
einem wesentlichen zusammenhang der entstellten
schrift mit der zwecklosen häufung der groszen buchstaben,
man suchte darin eine vermeinte zier und gefiel
sich im schreiben sowol an den schnörkeln als an ihrer
vervielfachung. wenigstens die der edlen lateinischen
schrift pflegenden völker kamen gar nicht auf den gedanken
einer so sinnlosen verkleisterung der substantive.
Kaum ein leser dieses wörterbuchs wird an den lateinischen
und kleinen buchstaben ärgernis nehmen oder
sich nicht leicht darüber hinaussetzen, allen unbefangnen
aber musz die daraus entsprungne sauberkeit und
raumersparnis angenehm ins auge fallen. hat nur ein
einziges geschlecht der neuen schreibweise sich bequemt,
so wird im nachfolgenden kein hahn nach der
alten krähen. wem das thun oder lassen in solchen
dingen gleichgültig ist und jeder unbrauch zu einer unabänderlichen
eigenthümlichkeit des volks gedeiht, der
dürfte gar nichts anrühren und müste in allen verschlechterungen
der sprache wirkliche verbesserungen
sehen. es gibt aber in ihr nichts kleines, das nicht auf
das grosze einflösse, nichts unedles, das nicht ihrer angebornen
guten art empfindlichen eintrag thäte. Lassen
wir doch an den häusern die giebel, die vorsprünge der
balken, aus den haaren das puder weg, warum soll in
der schrift aller unrat bleiben?
20. Rechtschreibung.
Die lateinische schrift kam unserer sprache schon vor
alters von auszen her zu und nicht ohne gefahr ergieng
ihre anwendung auf die deutschen laute; schlimm war,
dasz ein nachlässiger und verkehrter schreibgebrauch,
statt beide völlig auszugleichen, allmälich verwirrungen
bereitete, die anfangs nirgends vorhanden waren. in
den letzten drei jahrhunderten trägt die deutsche schreibung
so schwankende und schimpfliche unfolgerichtigkeit
an sich, wie sie in keiner andern sprache jemals
statt gefunden hat, und nichts hält schwerer als diesen
zustand zu heilen. man hat sich von jugend an ihn gewöhnt
[lv]
und niemand kann den leuten ungelegner kommen,
als der sich dawider erhebt. in kleinigkeiten abzuweichen,
das wird belächelt und allenfalls geduldet,
wem aber gründliche umwandlungen ratsam scheinen,
der darf sich auf jede mögliche gleichgültigkeit und unkenntnis
von der sache fassen. was sollte die änderung
den schriftsteller angehn, dem daran liegt seine gedanken
ungehemmt und ungezwungen zu äuszern, dem es
lästig fallen musz sich und seine leser durch anstände
in der form, die er längst bewältigt zu haben meint, aufhalten
zu lassen? nur insgeheim mag ihn der leichdorn
im schuh drücken, wenn er sich des eignen ungenauen
und fehlerhaften ausdrucks mitunter bewust wird. die
meisten schrieben, wie sie es in der schule oder sonst
im leben sich angewöhnt hatten und überlieszen wiederum
den setzern die schreibart nach belieben zu verändern,
d. h. dem vorherschenden brauch zu bequemen.
so weichen z. b. die meisten kurz nach einander
erschienenen auflagen von Fischarts Gargantua immer
in kleinigkeiten ab, aus welcher sollte man einen schlusz
auf seine eigne schreibung machen? auch
Göthe wird
sich nicht darum bekümmert haben, dasz die späteren
abdrücke seiner werke einzelnes anders schrieben, z. b.
die erste ausgabe des Faust von 1790 hat juristerey,
gescheidter, bey, wo die jüngeren juristerei, gescheiter,
bei setzen, dennoch daneben seyn behalten. wichtigeres
erlaubte man sich bei ahnungsvoll statt des aus
Göthes feder geflossenen ahndungsvoll.
in Lessings werken
hat Lachmann
verschiedenheiten der schreibung festgehalten,
die vielleicht auch von den setzern herrührten.
Einzelnen älteren schriftstellern, die den schreibgebrauch
zu meistern unternahmen, wie Melissus,
Weckherlin,
Ph. von Zesen, darf man nur geringe, darum
unwirksame sachkunde zutrauen, wiewol sie es an einigen
guten vorschlägen nicht fehlen lieszen; auch die
neueren, in vielen stücken vollkommen berechtigt,
Klopstock, Voss, Schlözer
scheiterten um derselben
ursache willen, Voss unter ihnen der mäszigste richtete
das meiste aus. einiges rechte, wie die entfernung des
Y aus dem diphth. ei drang endlich, allem dawider erhobnen
einspruch zum trotz, allgemein durch. Eine
gänzliche umwälzung, wobei freilich mit nothwendigen
ausnahmen wieder der mhd. schreibweise zugelenkt
werden müste, scheint erst dann gelingen zu können,
wenn ihr unter grammatischer begründung in empfänglicher
zeit durch ein wörterbuch vollständig der weg
gebrochen sein wird. das gegenwärtige darf blosz anspruch
darauf machen ihn hin und wieder anzubahnen
und die änderung vorzubereiten.
Das gebrechen liegt in unbefugter und regellos
schwankender häufung der vocale wie consonanten,
wodurch die deutsche schrift einen breiten, steifen und
schleppenden eindruck macht.
Bei den vocalen kam es auf die dehnung an, welche
vor einfachem consonant sowol der mhd. lange als
kurze laut empfieng, und man behandelte sie auf viererlei
weise.
a) man liesz sie unbezeichnet. beispiele der organischen
länge: da, qual, spat, that, rath, abend, athem,
klar, waren, lasen, kamen, hören, brot, noth, roth, tod,
krone, thun, muth, ruhe. beispiele der organischen
kürze: thal, schmal, rad, mag, gab, habe, scham, kam,
[lvi]
schwan, war, wagen, nabel, gabel, jagen, sagen, schämen,
bär, gebären, geweb, eben, geben, streben, bewegen,
hin, dir, mir, biber, lob, oben, bote, boge, zogen,
trogen, schwöre, mögen, flug, zug, tugend, jugend.
b) man verdoppelte den vocal. beispiele der organischen
länge: aal, haar, klee, see, schnee, schoosz.
beispiele der organischen kürze: saal, aar, baar, heer,
meer, beere.
c) man schaltete hinter dem I E ein, was natürlich
nur bei organischer kürze der fall ist: kiel, ziel, viel,
spiel, ziemen, nieder, liegen, wiege, riegel, schriebe,
triebe, geschrieben, getrieben.
d) man schaltete H ein. beispiele der organischen
länge: pfahl, stahl, jahr, bahre, wahr, bewähren, wahn,
wähnen, ehre, mehr, lohn, ohne, bohne, ohr, fuhr,
fühlen, führen, ruhm huhn. beispiele der organischen
kürze: fahl, kahl, wahl, zahl, lahm, nahm, hahn, nahrung,
fahren, zählen, wählen, währen, nähren, hehlen,
stehlen, nehmen, wehren, ihn, ihr, sohn, wohnen,
sohle, bohre, bühne.
Dies inconsequente verfahren ist unerträglich. wenn
man nahm, lahm, zahm schreibt, warum nicht auch
kahm? oder umgedreht, wenn kam, scham, name gilt,
warum nicht nam, lam, zam? wer wahl, zahl, ihn,
hahn, zahn, bühne setzt, müste der nicht auch thahl,
schmahl, vihl, schwahn, thuhn schreiben, oder weshalb
entbindet ihn die schreibung schmal und schwan nicht
des schleppenden h in wahl und hahn? wir schreiben
grün und schön, warum nicht kün, sondern kühn? was
zwingt zu jahr und bahre, da doch klar und waren gilt?
warum schere, aber beere und wehre? im 16. 17 jh.
schrieben auch einzelne kahm, ahn, juhgend, vihl und
zihl, was der spätere gebrauch verwarf.
Am unerträglichsten wird die unsicherheit, wenn
sie in den formen desselben worts, derselben wurzel
und in vollkommen ähnlichem fall vortritt. ihr zu
schreiben und von der analogie wir mir dir abzuweichen,
war in der sprache nicht der mindeste grund;
ungebildete schreiben auch wihr, mihr, dihr oder wier,
mier, dier und verfahren folgerichtig. warum soll ihm,
ihn, ihnen stehn und er, es, der, dem, denen? im 16.
17 jh. begegnet auch ehr, ehs, dehr, dehn, die uns
heute beleidigen. zahm und zähmen verdecken durch
diese schreibung ihre abkunft von ziemen, geziemen,
gezam, ihre verwandtschaft mit ziemlich und zunft.
gleiches gilt von zehren und zerren, von begehren und
begier. wir schreiben nehmen und nimmst, nimmt,
welche beide die organische kürze durch verdoppelung
der consonanz retteten, ältere schriftsteller setzen auch
nemmen wie tretten für nehmen und treten; ist, wie
vermutet wurde, das subst. name von nehmen abstammend,
so verdunkelt sich zugleich dies verhältnis. nicht
anders trennt unsre üble schreibung die zusammen gehörigen
wörter hahn, huhn und henne, lehren und lernen,
an und ähnlich, fahren, fahrt und fertig, d. i. zur fahrt
gerüstet, zwar = mhd. ze wâre, und wahr.
Wol weisz ich, was man zur entschuldigung mancher
solcher widersprüche und ungenauigkeiten vorbringt.
es sollen dadurch verschiedenartige wörter von
einander gehalten werden, man setze ihn und seyn, damit
sie von der praep. in und dem possessivum sein fern
stehn bleiben; sicher war das nicht der anlasz zur
[lvii]
schreibung, womit hätten denn ihr, bey, frey nicht zusammenfallen
sollen? kein mhd. blatt wird unverständlich
dadurch, dasz in beiden fällen einförmig in und sîn
geschrieben steht. denn in allen sprachen, zumal neueren,
begegnen sich die gestalten vieler wörter, z. b.
lat. canis singst, canis hund; suis der sau, suis seinen;
bellum krieg, bellum den schönen; frons stirne, frons
laub; edit iszt, edit gibt heraus; uti wie, uti gebrauchen,
jenes mit kurzem, dieses mit langem u; franz. son
laut, son kleie, son sein; ton laut, ton dein; en in, en
davon = lat. inde, und so unzähligemal, wer denkt
daran sie anders zu schreiben? im zusammenhang der
rede wird alles klar, durch ihn würde man auch gewahren,
ob her das mhd. her exercitus, hër huc, hêr
clarus meine, welche drei wörter die mhd. handschriften
ganz gleich schreiben, uns erst die grammatik zu
sondern gelehrt hat. was soll ein unterschied zwischen
wider contra, wieder rursus, da wir doch aber
vero und aber rursus unausgezeichnet lassen? die gewöhnliche
schreibung kann lange nicht allen feinheiten
der aussprache nachgehen wollen, sie weisz nichts von
einem ë oder ê und â, nur genauere schreiber wandten
accente und circumflexe an, oder strebten einzelne ë
und ê durch ä und ee zu erreichen. lateinische bücher
drücken die quantität der vocale auch nicht aus, griechische
nur einiger, nicht aller. entspringt uns irgend
beschwerde daraus, dasz wir mhd. gebôt mandavit und
gebot mandatum beide gebot schreiben? oder soll hier
unser groszer buchstabe das subst. retten? das hülfe
ja nichts für den fall, dasz das verbum den satz anfienge.
Mit mehr schein liesze sich anführen, dasz schon mhd.
und selbst ahd. einzelne beispiele des dritten und vierten
misbrauchs auftauchen, des hinter I geschobnen E, des
dehnenden H. wer die von Diemer bekannt gemachte
Vorauer handschrift liest, wird darin verschiedentlich
tehte roht toht houbeht habeht siht wihstoum finden
für tete rôt tôt houbet habet
(ahd. hapêt) sît wîstuom,
wie schon einmal bei Notker,
inslîhefe für insliefe, ungefähr
wie auch fremde namen zwischen Daniel und
Danihel, Bethleem und Bethlehem schwanken. iem für
im hat die kaiserchron. 526, 22; ier für ir 526, 23;
ien für in 529, 20; ziet für zît 527, 12 u. s. w. dies
iem, ier mahnt nun an das iäm, iär des heutigen westfälischen
dialects, die schreibung viel und miechel im
grafen Rudolf an die ags. und altn. brechung feolo, fiöl
und miök, miög, ags. eom und heom für im, him, und
es scheint wol, dasz das gesetz der brechungen den
misbrauch des dehnenden IE zuerst veranlaszt haben
könne, vgl. gramm. 1, 163. allein der gemeine hochd.
brauch nahm die meisten solcher schreibweisen gar
nicht an, oder entledigte sich ihrer bald wieder; sollen
wir sie festhalten und dazu noch schief anwenden?
Das zweite verfahren, ich meine die wiederholung
des vocals, ursprünglich damit länge, dann dehnung zu
bezeichnen hat etwas natürliches, da auch in andern
sprachen die länge der doppelt gesetzten kürze gleich
steht; von den Niederländern wird diese doppelung
ebenfalls, nur häufiger und durchgreifender, angewandt,
welchen sowol IE für I, als das eingeschaltete H unbekannt
blieb. doch, wenn man allenthalben die dehnung
verdoppeln will, empfängt die schreibung etwas breites,
[lviii]
schwerfälliges, man lese Flemings gedichte, der die
holländische weise nachahmend s. 79 setzt:
Neptuun kann keinem guut fur seinen schaden saagen,
der sich in seiner fluut auf speten herbst wil waagen, |
und so oft, nicht allenthalben, die ausgaben folgen
schwankend.
Weit besser gethan ist es, die erste weise zur allgemein
gültigen erhebend, den gedehnten laut überall unbezeichnet
und jede verdoppelung oder einschaltung
von E und H fahren zu lassen, wodurch zugleich reinere
aussprache des organischen IE (in dienen, lieben,
gieszen) und der organischen spirans für alle inlaute,
wie sehen, zehen, ziehen, fliehen, fahen, äher oder ähre,
zähre u. s. w. gewonnen würde. diese letzte schärft
sich vor T in CH (sicht, flucht, zucht), was jenes falsche
H niemals zu thun vermochte. für Schlözer muste es
zur klippe werden, dasz er die echten und falschen H
nicht scheiden konnte und das kind mit dem bade ausschüttete.
schon Frisch
hatte sich an verschiednen
stellen, z. b. 2, 373b gegen 'den schlendrian mit dem
angeflickten H' ausgesprochen.
Aller dieser anfangs beabsichtigten, künftig einmal
unerläszlichen reinigungen unseres vocalismus habe ich
aus den oben angezeigten gründen mich jetzt noch entschlagen,
doch ist vorläufig schon in klammer die gebesserte
schreibung beigefügt worden, natürlich nur im
stamm, von dem man sie leicht auf ableitungen und zusammensetzungen
erstrecken wird, z. b. hinter nehmen
folgt eingeklammert nemen, nicht hinter abnehmen annehmen
ausnehmen benehmen. man hat also immer
das einfache wort aufzuschlagen.
Unsere consonanten leiden an gleich pedantischer
vervielfachung der zeichen, es ist als ob nie der einfache
buchstab genügen könne, immer noch ein andrer ihm
als schlepp angehängt werden müsse.
Thue man bücher des 16. 17 jh. auf, nicht allein dem
T wird unnützes und falsches H nachgesandt, sondern
oft auch andern consonanten, und z. b. geschrieben
rhat rhum mhe nehmen für rat rum me nemen, so dasz
sich die dehnung raht (oder rath) ruhm mehr nehmen
aus bloszer fortschiebung des H in die mitte des worts
herleiten liesze. eine menge von verdopplungen starrt
allenthalben, FF, SS für F und S und immer CK, TZ
nach andern consonanten, da sie doch blosz nach oder
zwischen vocalen zulässig sind: hoff graff schiff brieff
schlieff schuff für hof graf schif brief schlief schuf;
danck banck volck werck holtz krantz hertz schwartz
für dank bank volk werk holz kranz herz schwarz;
ja auch hausz mausz für haus maus.
Zesen pflegt die
verdoppelung noch mit dem dehnlaut zu verknüpfen
und zu schreiben hihss für hiesz, schähffer für schäfer.
auf FF ist man so erpicht, dasz es selbst in die russischen
namen Orloff Demidoff Suwaroff eingetragen wird,
die mit nichts als slavischem ov auslauten.
TH hängt uns bis auf heute noch an: es ist überall
falsch in hochdeutschen wörtern und das niederdeutsche,
englische hat ganz andern grund. man musz also
tal teil tor tat schreiben so gut wie tag teig toll taugt tugend,
und nicht anders in und auslautend mut rat wut gerade
wie gebet blut. die schreibungen that theil thor that
muth rath wuth werfen unsre mundart aus ihrem angel
und verwirren sie gegenüber allen geschwistersprachen.
[lix]
Man will heute hof graf schuf schlief der gedehnten,
aber schiff griff schlaff der kurzen aussprache halben.
dann müste auch abb obb für ab und ob, mann binn
hinn unn für man bin hin un geschrieben sein; oben
wurde gesagt, dasz es unnöthig ist die dehnung oder
undehnung zu bezeichnen. F ist so ein scharfer laut,
dasz seine doppelung gar nicht ins ohr fällt und erst
inlautend zwischen vocalen vernehmbar und in zwei
silben vertheilt wird, schiff wäre schiphph und unaussprechlich,
schiffen, schaffen aber spricht sich aus schiffen,
schaf-fen, die silbenabtheilung schiff-en ist so unrichtig
wie die von geb-en, mein-en für ge-ben, meinen,
als hätte sich die silbe um den stamm zu kümmern.
warum sich also sträuben gegen schift navigat,
schaft parat? da doch schaft in freundschaft gleichfalls
aus schaffen gebildet wurde, die aussprache völlig dieselbe
ist. Lessing
schrieb häufig das einfache F und
auch Voss
im Homer schif, hofnung, gewafnet, wie
Engländer mit ship, Niederländer mit schip, Dänen mit
skib ausreichen, Schweden mit skep für skepp ausreichen
könnten, doch ist PP weit erträglicher als FF.
Ebenso bewandt ist es um den scharfen laut des S, das
wiederum am schlusz des worts und vor andern consonanten
nicht verdoppelt werden sollte, wie man lat.
schreibt as assis, bes bessis, ahd. hros hrosses, giwis
giwisses, ist auch mhd. und nhd. zu schreiben kus ros
mis gewis ergebnis und küst mist = küsset misset.
zwar die goth. schreibung hat qiss stass gatass, aber
hochdeutsch ist sie nicht zu befolgen. auch den häufungen
DT in stadt todt verwandt musz entsagt werden;
früher schrieb man nicht weniger brandt kundt
wandt feindt findt mordt und dergleichen. fehlerhaft
ist das verbreitete herrschen für herschen, welches sich
leitet von hêr = hehr, nicht von herr, d. i. dem comparativ
desselben hêr = ahd. hêriro.
Näher auslassen musz ich mich hier über SZ, weil
die alphabetische reihe erst spät darauf führen wird,
sein verhalt zu SS aber höchst unsicher und zweifelhaft
scheint. wie einfach und sauber stehn in allen
sprachen der ersten lautverschiebung T und S von einander
ab, wie verworren hochdeutsches Z und S, weil
beide laute sich berühren. S lautet scharf und sausend,
Z gedämpft und dieszend, wenn ich des alten
wortes mich bedienen darf, noch an lispelndes TH mahnend,
aus dem es ja entsprang. im anlaut oder auch
in und auslautend nach andern consonanten und langen
vocalen wird es härter, dicker, nach kurzen vocalen
weicher, flüssiger, dem S sich nähernd. es war
natürlich, dasz die kürze oder undehnung ihm mehr
von seiner dichte oder dicke benahm. den unterschied
zwischen Z und Ȥ bezeichnet die mhd. schreibung gewöhnlich
gar nicht, öfter die ahd. durch Z und SZ oder
ZS, doch begegnet auch SZ in dem von Wackernagel herausgegebnen Baseler dienstrecht s. 33. dürfte
man nhd. Z und SZ geradezu nach mhd. Z und Ȥ regeln,
so schiene die sache bald abgethan. doch so
leicht ergeht sie nicht, das nhd. SZ ist vorgeschritten
und dem S näher getreten, wir sprechen und schreiben
dünnes, abgeschliffenes in den anlauten es, das,
was, bis, aus, inlautend aber SS nach organisch kurzem
oder gekürztem vocal in gasse lassen lässig nassen wasser
essen fressen bisse risse schlisse gegossen genossen
[lx]
flusses verdrusses, wo bereits die mhd. doppelung
ȥȥ weicher geworden war als der auslaut naȥ vluȥ guȥ,
dem wir auch nhd. sz geben: nasz flusz gusz. schon
die alte schreibung Hessen (Nib. 175, 1) für Heȥȥen,
Chatti liefert solches SS, das sich selbst im goth. vissa
für vitida, ahd. wessa entfaltete und mhd. hss. gewähren
es noch sonst, z. b. in besserôn bei
Grieshaber 2,
76; wasser 2, 95; vressen 2, 134; vassen, fergessen,
vergisset 1, 105. 106. 111 u. s. w. nach langem und
gedehntem vocal haftet hingegen sz, wie das mhd. ȥ hier
nicht verdoppelbar ist: aszen strasze fleisz heiszen gieszen
grosz grösze süsz süsze. inlautend fallen uns
mhd. SS und ȤȤ zusammen, gewissen certum klingt
uns wie wissen scire, bissen momorderunt, während S
und SZ nach langem vocal hörbar verschieden lauten:
weisen monstrare, weiszen dealbare; heiser raucus,
heiszen jubere; meise parus, beschmeisze illino. SZ
musz etwas dicker und mit der zunge hervorgebracht
werden, S geht durch die zähne. freilich gibt es ausnahmen,
wie kreis, ameise für mhd. kreiȥ, âmeiȥe.
Luther geneigt im auslaut fast überall zu S für SZ, inlautend
zu SS, beides verdient keine nachahmung, viele
schreiben heute tadelhaft blos, loos für blosz losz sors.
Nun erwächst aber andere schwierigkeit. in der
deutschen minuskel hatte sich die zusammengerückte
form gebildet, wofür alte drucke des 15. 16 jh. noch
andere zeichen ſz, geben, die sich alle in den reinen,
lateinischen typus nicht übertragen lieszen, in
Wirsungs
Calistus f 3b steht neben auch , ich habe darauf
geachtet, wie man in entschieden lateinischem satz sich
allmälich dabei benahm. zierliche, in Holland gedruckte
deutsche bücher aus der mitte des 17 jh. pflegen in den
rubriken lateinische typen anzuwenden, so liest man
im Philander von Sittewald Leiden 1646 theil 5 seite
265 'von der faſznacht' und in der deutschen theologia,
Amsterdam bei Dirck Meyer 1631 s. 88 'beſchluſz',
beide buchstaben getrennt, nicht verbunden. da aber
in vielen auslauten s für sz galt, lag es nahe, auch dem
inlaut ſs zu verleihen und wie Luthers bibel von
1545 1 Sam. 9, 24 deutsches 𝔦&slongfrak;𝔰
gewährt, steht z. b.
in Fischart
s Garg. von 1594 s. 38a
laſst, in Eccards
hist. stud. etym. Hannover 1711 s. 271 greſslich, und
später wird es immer häufiger, z. b. in
Bodmers vorreden
zu den fabeln (1757) und den minnesingern
(1758); in den aus einer hs. den fabeln angehängten
erzählungen ist s. 241 paiſz, s. 243 ſüeſzlich, s. 267
waiſz zu lesen. Als endlich in unserm eignen jh. das
lange lat. ſ verschwand und dem s allenthalben wich,
versagte auch der behelf des ſs und die setzer griffen zu
ss, das doch im auslaut wie inlautend nach langem vocal
unleidlich scheint. seit dieser zeit wird geradezu, jenachdem
man deutsche oder lateinische buchstaben
verwendet, auf zwiefache weise gesetzt 𝔡𝔞ßfrak;,
𝔣𝔩𝔦𝔢ßfrak;𝔢𝔫 oder
dass, fliessen, beides soll einerlei sein, was doch offenbare
unwahrheit ist, den buchstab nennen wir eszet
und geschrieben und gesetzt wird er ss.
Um diesem empfindlichen übelstand auszuweichen
und wieder auf gehörige sonderung der laute SS und
SZ zu dringen, habe ich, weil eine verknüpfung des typus
s mit z unthunlich ist, getrenntes sz vorgezogen,
wie es in polnischer, littauischer, ungrischer sprache
längst üblich war. niemand nimmt anstosz daran, dasz
[lxi]
die verbundnen &slongfrak;𝔱 und 𝔠𝔥 sich auflösen in st und ch,
ihnen tritt sz ganz zur seite und man braucht nicht
mehr verlegen zu fragen, ob sz in der druckerei vorrätig
sei. nun kann auch die majuskel das SZ ausdrücken,
wie sie das ſs nicht konnte.
In zusammensetzungen musz der anstosz gleicher
oder ähnlicher consonanten nothwendigen wechsel oder
ausfall einzelner derselben nach sich ziehen, wie in griechischen
wörtern er immer erfolgt. unsere heutige
schreibweise, um laut und aussprache unbekümmert,
möchte aber allzeit die volle gestalt jedes theils der
composition vor den augen festhalten, und so entspringen
beim zutritt der auf doppelten consonant auslautenden
wörter an solche, die mit demselben wieder anlauten,
die unbarmherzigen schreibungen schnelllauf
stalllicht stammmutter betttuch massstab missstimmung
weissschnabel gefängnisssträfling schifffahrt (das wäre
aufgelöst schiphphphahrt), wie man sie allenthalben
liest, deren ich von selbst überhoben bin oder mich enthalte,
sollte auch das aufschlagen im wörterbuch hier
erst eingeübt werden müssen. maszstab und weiszschnabel
fügen sich der schreibung und aussprache.
Nichts ist bei uns greulicher als die schreibung der
eigennamen, wo man sich aller regel entbunden wähnt
und blosz vom herkommen abhängen will, als ob richtige
aussprache und darstellung nicht alle wörter durchdringen
müsse. was sich in den letzten jahrhunderten
bei sprachunkundigen zufällig eingeführt hat, soll sorgsamst
beibehalten bleiben. mit fug schrieb Lessing 8,
41. 77 u. s. w. Winkelmann, der ohne zweifel, lebte
er heute, selbst so schreiben würde, zu seiner zeit dem
allgemeinen misbrauch folgte; ängstlich wird aber in
gelehrten büchern Winckelmann hergestellt und sonst
Hertzberg Holtzmann Welcker gesetzt; wenigstens berühmte
namen, die oft wiederkehren, sollten das recht
haben den staub der schreibfehler von sich abzuschütteln.
hier werden künftig einmal sogar machtsprüche
nichts vermögen und Würtemberg wird wieder an die
stelle des Württembergs barbarischer urkunden zurück
treten. eine sprache darf nichts unreines, was
ihrem natürlichen strome widerstrebt an sich leiden.
auf ihrem gebiet aber gibt es keine befehle, und wie
man von einer république des lettres redet, so entscheidet
auch über die wörter und ihre schreibung zuletzt
nur der allgemeine sprachgebrauch und volkswille;
regierung und obrigkeit können blosz mit gutem beispiel
voran gehen, wie sie hier oft ein schlechtes gegeben
haben.
Von selbst versteht es sich, dasz in den ausgehobnen
beispielen zwar jede in der sprache und aussprache begründete
eigenthümlichkeit der schriftsteller gewissenhaft
belassen, nicht aber bei anwendung oder häufung
unnützer buchstaben den ausgaben gefolgt wurde. das
hätte, wegen ihres schwankens, den text allzu bunt gemacht.
wozu wären alle LCK, RCK, PFF aus Luther geblieben und H. SACHSENS
auffpfeifft für aufpfeift behalten,
wozu in späteren schriftstellern die zwar geringere
dennoch lästige verschiedenheit bewahrt worden?
herausgeber, wenn ihnen etwas davon abzuhängen
scheint, mögen anderer rücksichten pflegen als das
wörterbuch, doch selbst in ausgaben mhd. texte wird
gestrebt grammatisch zu schreiben und von der ungenauigkeit
[lxii]
der handschriften abgewichen. über einzelnes
und über kleinigkeiten mag freilich streit fortbestehn.
Billig zu achten war vorerst auch auf die nicht grundlose
besorgnis der verlagshandlung, dasz das publicum,
für einzelne besserungen der orthographie zwar empfänglich,
durch heftige erschütterung des hergebrachten
und festhaftenden brauchs abgeschreckt werden
möge. so freie hand uns hier gelassen war, erkannten
wir gern die ratsamkeit kluger beschränkungen an, fast
jederzeit haben mäszige und allmälich vorgebrachte reformen
eingang, überspannte abwehr gefunden. ob immer
das rechte masz getroffen und eingehalten wurde,
musz der erfolg entscheiden.
Auch in dem fall, dasz sämtliche gegenwärtig schon
geübten oder vorgeschlagnen orthographischen änderungen
durchgriffen, erschiene damit die sache unabgethan,
und in weiterer ferne hielten noch andere forderungen,
die mit der zeit sich geltend machen könnten.
namentlich ziele ich auf unser F, V und W, von welchen
eins ganz entbehrlich und dann das verhältnis der andern
neu zu bestimmen wäre. ahd. standen, wie sp.
1053 gelehrt ist, F und V inlautend noch abgesondert,
nhd. fallen beide im laut überall zusammen, schon mhd.
wechseln sie oft gleichgültig, z. b. Nib. 1654, 2 steht
geschrieben 'sô vriunt nâch friunden tuont'; Iw. 6225
'vielen: enpfielen'; im Iwein wird sonst vrâgen, vrouwe,
in Walthers liedern, im Parz. frâgen, frouwe gesetzt;
der laut unterscheidet nicht. unnöthiger überflusz ist
darum unser nhd. vest neben fest, und wir verdecken
mit ver und vor neben für und fürst, mit voll neben fülle
dieser wörter verwandtschaft. getrauen wir uns einmal
das V den Niederländern zu lassen, die seiner kaum
entraten werden, selbst aber nur F zu schreiben, wie
wir nur F aussprechen; so wird V seine eigenthümliche
bestimmung erfüllen und wieder den laut des lat. und roman.
V übernehmen, d. h. unser jetziges W ausdrücken
können. denn da wir heute nichts von dem laut eines
englischen W haben, bedürfen wir auch des zeichens
nicht, unser F und V träten ganz in den gothisehen und
nordischen stand zurück, der auch den frühsten ahd.
denkmälern entspricht. auf den ersten anblick erschiene
seltsam, statt verwalten, vielfusz, vielwissend zu schreiben
fervalten, filfusz, filvissend; in der sprache und aussprache
würde aber nicht das geringste dadurch gekränkt
und die zeit kann kommen, wo man den vorschlag
vernünftig und angemessen finden wird. vor
hundert jahren setzten alle Schweden ein W, wo sie
heute einfaches V schreiben, die Finnen sind bereits so
klug dasselbe zu thun, Littauer und Letten dürften es
unbedenklich: sie alle hatten das schleppende W von
niemand überkommen als von uns. bei keinem volk in
der welt geht die vereinfachung der schrift so schwer
wie bei uns von statten, in Spanien bedurfte es nur
einer von wenigen gelehrten ausgegangnen feststellung
der jüngsten ziemlich eingreifenden maszregel und jedermann
war damit einverstanden. dejar für dexar,
pajaro für paxaro ist doch auffallender als vald für wald
wäre, aber alles würde dawider schreien, obschon dann
unsere schüler von selbst das lat. V richtiger aussprechen
lernten.
21. Betonung.
[lxiii]
Adelung
hat seiner zweiten ausgabe vor der ersten
dadurch einen zweideutigen vorzug verliehen, dasz er
ton und aussprache der einzelnen wörter häufig durch
accente bezeichnet. diese bezeichnung stimmt aber
nicht genau zu der im latein üblichen, und im grunde
ist wenig daraus zu lernen. der nhd. ton fällt so einförmig,
dasz man ihn fast von selbst weisz, in einfachen
wörtern haftet er auf der wurzelsilbe, in zusammengesetzten
empfängt das erste wort den hauptton, das
zweite den tiefton, auszer wenn das erste eine untrennbare
partikel ist, die unbetont bleibt, wie bestéhn, gestéhn,
übersétzen transferre; hingegen die lebendigere
trennbare wird tonfähig: béistèhn, ǘbersetzen trajicere;
alle abgeleiteten subst. behalten den ton der
verba: bestánd, gestndnis, übersétzung; béistànd,
ǘberfàhrt. ausnahmen anzuführen gehört nicht hierher.
Jenes gesetz der wurzelbetonung galt aber in der
älteren sprache lange nicht so allgemein, und einzelne
fälle betonter ableitungssilben haben sich auch heute
noch bewahrt, z. b. in lebendig; nur bleiben manche
zweifelhaft, z. b. in achtende octavus, in affolter, wacholter.
sie bedürfen eigner, belebterer untersuchungen,
als im wörterbuch angestellt werden können. einigemal
hat der ton auf die entfaltung der wortform deutlichen
einflusz gehabt, z. b. in bieder. die abweichende
betonung fremder wörter wie adies, aha, ahi, altar,
barbar, barbarisch, baron u. s. w. wurde angezeigt.
22. Vertheilung.
Wenn zwei maurer zusammen ihr gerüst besteigen
und der eine rechts, der andere links auferbaut, so heben
sich wände, pfeiler, fenster und gesimse des hauses
vollkommen gleichförmig zu beiden seiten, weil alles
entworfen ist und nach der schnur gemessen wird;
es kommt auch vor, dasz an einem aufgespannten bilde
zwei mahler arbeiten, der eine die landschaft, der andere
die figuren übernimmt, und jener diesem, um sie
aufzustellen und bequem zu entfalten, genug grundes
läszt. so liesze sich denken, dasz auch am wörterbuch
zwei nebeneinander stünden, nach festem entwurf die
wörter schichteten und einfügten, auch sich wechselsweise
die bausteine zureichten und ihr gerät und werkzeug
aus des einen hand in die des andern gienge, dasz
von einem die etymologie und form, von dem andern
die bedeutung ergriffen und erörtert würde. Allein die
wortforschung fordert stille samlung und ungestörtes
nachdenken; wer den ursprung des worts findet, dem
flieszen daraus auch die bedeutungen, und wessen untersuchung
warm in den bedeutungen geworden ist,
der musz sich auch eine vorstellung von dem ursprung
und der wurzel des worts gebildet haben. eins bedingt
das andere und die faden reiszen, wenn sie aus
der hand gegeben werden. bald würde der hintergrund,
den sich der eine arbeiter gedacht hat, von den
gestalten unerfüllt bleiben, die der andere darauf führen
wollte, bald für diese gestalten jener grund nicht
ausreichen. auf diesem felde weichen die ähnlichsten
ansichten leicht von einander ab und nachgibige vermittlung
wird so schädlich wie eigensinniges beharren.
dasz jeder arbeiter seine vollendete untersuchung dem
prüfenden urtheil des mitarbeiters hingebe, widerstreitet
dem selbstgefühl ebenso stark als ein solches urtheil
unausführbar ist, denn nacharbeiten kommt hier der
[lxiv]
mühe des arbeitens völlig gleich: statt dasz ich dem
andern seine gänge nachgehe und alle seine mittel schonend
erwäge, will ich lieber mich selbst nicht schonen
und dieselben wege einschlagen. auch hindern beide
arbeiter, wenn sie zu dicht und unmittelbar beisammen
stehn, einander am gebrauch des geräts.
Man fühlt und sieht es bald, die gemeinschaft gleichberechtigter
arbeiter am wörterbuch wird nur so möglich,
dasz jeder derselben bestimmte theile des ganzen
auf sich nimmt und in allen kreisen dieser theile sich
ungestört bewegt. was er vollendet hat, musz ohne
vorausgegangne durchsicht des mitarbeiters in das gesamtwerk
aufgenommen werden. die wahl jener theile
oder stücke kann fast dem zufall überlassen sein, da
alles und jedes auf dem gebiet der sprache gleich schwer
und gleich anziehend ist. unbewust und von selbst festigt
sich aber die gemeinschaft zu gegenseitigem vortheil
dadurch, dasz beide arbeiter zu derselben zeit,
man könnte sagen in derselben luft auf freiem standpunct,
doch mit gleichen mitteln den im groszen entworfnen
und festgehaltnen plan im einzelnen still einander
absehn, und auf diesem wege die erforderliche einheit
des ganzen werks sich herausstellt. sie sind zwei
köche, die nach wochen sich ablösend vor den nemlichen
herd treten und gleiche speise in gleichem geschirr
zubereiten; mag das publicum selbst merken,
wo manchmal der eine zu leise salze, der andre zu
scharf, ich hoffe dasz keiner anbrennen lasse.
Die erste woche sollte mein sein. als der anfang des
werks bevorstand, sagte ich zu Wilhelm: 'ich will A
nehmen, nimm du B'. 'das kommt mir zu bald', versetzte
er, 'lasz mich mit D beginnen'. dies schien
höchst passend, weil A B C den ersten band füllen sollten
und es angemessen wäre, jedem mitarbeiter eigne
bände anzuweisen. im verlauf der arbeit zeigte sich
aber, dasz mitten im B abgebrochen werden müsse,
um den ersten band nicht allzu sehr anzuschwellen. so
kommt es nun, dasz ich auch noch ein gutes stück des
zweiten auszuarbeiten habe.
Meinem bruder nutzt und schadets, dasz so viel gedruckt
werden musz, bevor er anheben kann. ihm
standen und stehn drei jahre zu gebot, in welchen er
ruhig und langsam vorbereitet, ich aber rasch und heisz
zur presse liefere. er hat den groszen vortheil einer
menge von einrichtungen überhoben zu sein, die ich
treffen und erfinden muste, als sie das erstemal zur anwendung
kamen. manchen von mir mit mühe erlernten
handgrif darf er geradezu brauchen. nachtheilig
aber ist ihm, dasz er nun auch das von mir ins wörterbuch
eingeführte der gleichförmigkeit halben beizubehalten
genöthigt wird, wenn es ihm schon nicht gefällt,
oder in dingen, wo er selbst bessere auskunft getroffen
hätte. eins gegen das andere gewogen, wird niemand
sagen mögen, dasz mir das günstigere losz gefallen sei.
Nur die gefahr wird bei dieser vertheilung des ganzen
werks unvermeidlich sein, da gedanken und einfälle jedes
der beiden arbeiter oft auch über seine schranke
hinaus in die wörter der andern kreise schweifen müssen,
dasz aller verweisungen ungeachtet vieles davon im
keim welke und verloren gehe. denn alles dem geist
erst dunkel vorschwebende und an rechter stelle klarwerdende
vorher aufzeichnen läszt sich nicht; doch
[lxv]
darf nicht versäumt werden, schon des einzuhaltenden
planes wegen, bei jeder zusammensetzung das einfache
wort, wenn es der vorgänger hat, und bei jedem
einfachen die zusammensetzungen nachzusehn, welche
bereits vorgearbeitet sind.
23. Beistand.
Als es nun ans treffen gehn sollte, empfieng das ausrückende,
noch immer nicht vollgerüstete wortheer, in
dessen reihen manche lücken sichtbar wurden, zwar
keine zuzüge von woher es sich allermeist auf sie vertröstet
hatte; die von befreundeten, tagtäglich in den
quellen der sprache verkehrenden männern angelegten
zettelkasten blieben leer oder unaufgethan: so schwer
war es, vor dem langen werke den ersten eifer wach zu
erhalten und nicht bald in trägen schlummer fallen zu
lassen. desto erfreulicher traf unerwartete hülfe ein.
Durch Trendelenburgs vermittlung wurde mir von
Hermann Voss zu Düsseldorf aus dem nachlasz seines
berühmten groszvaters übersandt ein exemplar des frischischen
und adelungischen wörterbuchs, welchem
Johann Heinrich Voss
mit fester und reinlicher hand
werthvolle zusätze beigeschrieben hatte. nirgends
grammatischer oder etymologischer art, sind sie meistentheils
aus älteren schriftstellern wie Keisersberg,
Pauli,
Steinhöwel, Münster, H. Sachs,
Kirchhof,
Fischart u. a. m., seltner aus späteren und neueren eingetragen,
immer in treffender, lehrreicher, auch dann
noch brauchbarer auswahl, wenn ihnen andere drucke,
als die hier benutzten zum grunde liegen. fortwährend
vor augen zu haben, was der um unsere sprache
hochverdiente mann sorgfältig für sie sammelte, ist
wolthuend und erhebend.
Wie aber rührte mich, dasz ich nun aus
Meusebachs
samlung von der königlichen bibliothek seinen durchschossenen
Campe entleihen und gebrauchen darf, dessen
anblick er bei lebzeiten dem freunde vielleicht noch
vorenthalten hätte. MEUSEBACH
, einer der liebenswürdigsten
und sonderbarsten menschen, die es geben
kann, in den deutschen büchern des 16. 17 jh. mit
voller seele bewandert, fand sich auch zu sprachlichen
forschungen höchst aufgelegt, und verfolgte was sich
nur an die von ihm untersuchten gegenstände, nah oder
fern, anhieng mit unablässigem eifer und seltner spürkraft.
ganze nächte, die er sich zu tagen machte, konnte
er über einzelnen wörtern hinbringen. das sprachfeld
zu überschauen und zu beherschen vermochte er nicht,
aber in allem kleinen, worauf er nur geriet oder geleitet
wurde, war er bald pünctlich zu hause und widmete
jeder frage, die bei ihm gefangen hatte, unermüdlichste,
mittheilsamste antwort, während er anderemale
geizig und eigensinnig zurückhielt. Daraus dasz
er seinen wortsamlungen nicht Adelungs werk, sondern
Campes
unterlegte, geht schon einige vorliebe
für die puristen hervor, deren ausdrücke aus älterer
quelle, zum ärger der gesunderen forscher zu bestätigen
ihn heimlich freute; FISCHART
, der freilich in anderm
sinn neue wörter bildete, und Jean Paul
, der seine
eignen schriften durch nachahmung des purismus lästerlich
verdarb, waren ihm lieblingsschriftsteller. doch
hat Meusebach
hier, was zu beklagen ist, weniger aus
Fischart,
als vorzugsweise aus selten gelesenen, aber
unbedeutenden schriftstellern eingetragen, sicher auch
[lxvi]
wären von ihm bei längerem leben diese ergänzungen
auf das reichste gemehrt worden. immer, wie sie nur
beschaffen sind, bleiben sie ein wahrer schatz, dessen
gebrauch nun nicht zu entbehren stände.
Neben diesen beiden, unserm wörterbuch vorausgehenden
und gar nicht für es angelegten samlungen
kommt nun der weit ansehnlichere vorrat von manigfalten
auszügen in betracht, die ihm unmittelbar zur
grundlage gereichen sollten, zum theil aus unsrer eignen,
unablassenden lesung der quellen hervorgiengen,
zum groszen theil aber durch andere abgefaszt wurden,
die wir damit beauftragt hatten, oder die sie von
freien stücken und nach eigner wahl anboten. der folgenden
angabe ihrer namen kann jedoch, aus begreiflichen
ursachen, die der einzelnen, von jedem ausgezognen
schriften nicht beigefügt werden: Bernd in Bonn,
Bluhme
in Bonn, Callin in Hannover,
Crain in Wismar,
Dietrich
in Marburg, DRONKE
in Coblenz und Fulda,
Eiselein
in Constanz, FALLENSTEIN
in Heidelberg, Fischer in Suckow, Foss
in Altenburg, Gust. Freytag in
Leipzig, Frommann
in Coburg, Gervinus in Heidelberg,
Gildemeister
in Marburg, Gödeke
in Hannover, Götzinger
in Schafhausen, Herm. Grimm in Berlin,
F. J. Günther in
Magdeburg, Aug. Hahn in Wien, Hartenstein in Leipzig,
Malchen Hassenpflug in Cassel, Mor. Haupt in Berlin,
Henneberger
in Meiningen, Hesekiel
in Altenburg, Hoffmann von Fallersleben
in Neuwied, K. A. J. Hoffmann
in Celle, Holland
für dank
in Tübingen, A. L. W. Jacob in Berlin,
Heinrich Jacobi in Berlin, Karajan in Wien,
in
Tübingen, Klee
in Dresden, Klosz in Dresden, Koberstein
in Pforta, Köne
in Münster, Friedr. Kohlrausch
in Lüneburg, Krause
in Stade, Kraut in Göttingen,
Krüger
in Aurich, Leyser
in Leipzig, Lisch in Schwerin,
Löbe
in Altenburg, Menge
in Danzig, Mörikofer in
Frauenfeld, Müller
in Wiesbaden, H. Müller in Berlin,
Wilh. Müller in Göttingen,
Nölting
in Wismar, Pabst
in Arnstadt, Palm
in Breslau, W. A. Passow in Meiningen,
Pfeiffer
in Stuttgart, Pritzel
in Berlin, Rud. von Raumer
in Erlangen, Riedel
in Göttingen, Heinr. Ritter in
Göttingen, Franz
Roth in Frankfurt,
Rückert in Zittau,
Rüdel
in Nürnberg, Schädel in Hannover, Schambach in
Göttingen, Schirlitz in Stargard,
Schöppach in Meiningen,
Alb.
Schott in Stuttgart,
Friedr. Schrader in Hörste,
Schubert
in Zerbst, Schulze
in Clausthal, Schwabe
in Gieszen, Schwekendieck
in Emden, Seibt in Frankfurt,
Sommer
in Halle, Aug. Stöber
in Mülhausen,
Stölting
in Duderstadt, Strodtmann in Wandsbeck,
Tobler
in Horn bei Rorschach, Vilmar in Cassel,
Volckmar
in Ilfeld, Wagler
in Luckau, Weigand in
Gieszen, Wellmann
in Stettin, Wolff in Stuttgart,
Zacher
in Halle, Zimmermann
in Clausthal. sollten
der aufzeichnung oder dem gedächtnis einige entgangen
sein, so wird man nachsicht üben. unter den
83 genannten ist ein dutzend professoren, ein paar
prediger, alle übrigen sind philologen, sonst keine juristen
und ärzte, wodurch wiederum sich bestätigt,
was sp. xxxi gesagt wurde. nicht allen ausziehenden
hat gleich volle einsicht in das ziel der aufgabe vorgeschwebt,
nicht allen ist derselbe beharrliche fleisz eigen
gewesen, so dasz einige der wichtigen schriftsteller
dem wörterbuch fast über die hälfte noch entzogen
scheinen. von den fleiszigen die fleiszigsten waren
[lxvii]
Fallenstein,
Hartenstein,
Riedel,
Schrader,
Weigand,
doch den allerfleiszigsten und einsichtigsten musz ich
nennen: es ist Klee.
Noch zwei andere namen sind mir theuer. ein glück
war es, dasz gerade Göthe in Klees hände kam, und von
ihm vortreflich ausgezogen, ich würde sagen erschöpft
wurde, wenn einen solchen ausdruck der unerschöpfliche
gestattete. hätten aber alle übrigen dichter von
annähernder bedeutsamkeit ähnliche auszüge erlangt,
es stände besser um manche beispiele des wörterbuchs.
wofern nun über Göthe
irgend mehr auskunft zu wünschen
blieb, liesz die hülfe selten auf sich warten, da
auch Hildebrand
und Hirzel
beide unvergleichliche belesenheit
in ihm besaszen. diese namen alliterieren, ihr
einklang zu wolwollender, unermüdlichster theilnahme
kommt dem wörterbuch wesentlich zu statten.
Hildebrand hat sich einer gewissenhaften correctur der
druckbogen unterzogen, und oft gelegenheit gefunden
seine ungemeine sachkenntnis und neigung zur deutschen
sprache durch guten ratschlag und berichtigung
einzelner versehen oder verstösze zu erweisen.
Leid that mir, dasz schon mitten in diesem ersten
bande die Weidmänner
sich spalteten. so oft ich weidmännische
redensarten anzuführen hatte, freute ich
mich insgeheim eines bezugs auf die vereinten freunde,
die meinen forschungen 'ûf der worte heide' gern und
mit jägerischem spüreifer folgten. auch pflegte
Karl
Reimer von anfang an sich am wörterbuche lebhaftest
zu betheiligen: er war es, der im frühjahr 1838 mit
Moriz Haupt nach Cassel gereist kam, um unsern vertrag
zu festigen, ihn und Hirzeln hätte ich auch vorhin
unter denen, die reichliche auszüge beitrugen, anzuführen
gehabt, wenn es sich nicht von selbst verstände,
dasz verleger ihrem eignen werke allen vorschub zu leisten
geneigt sind. vielleicht aber gibt es in unsrer ganzen
literatur noch kein beispiel einer so aufopfernden
anhänglichkeit, wie sie Hirzel
dem in sein theil gefallnen
wörterbuch überall sinnig bethätigt: er liest jeden
bogen vor dem abdruck durch und seine vertrautheit
mit der sprache und den dichtern, zumal aber, wie man
weisz, mit Göthe
flöszt ihm lauter feine bemerkungen
ein. kann der verfasser sich eine günstigere lage wünschen?
Die druckerei von Hirschfeld
bewährt und erhöht ihren
ruf durch die ausstattung dieses werks, an das sie
ihre tüchtigsten setzer gestellt hat.
24. Schlusz.
Es galt unsern wortschatz zu heben, zu deuten und
zu läutern, denn samlung ohne verständnis läszt leer,
unselbständige deutsche etymologie vermag nichts, und
wem lautere schreibung ein kleines ist, der kann auch
in der sprache das grosze nicht lieben und erkennen.
Hinter der aufgabe bleibt aber das gelingen, hinter
dem entwurf die ausführung.
ich zimmere bei wege,
des musz ich manegen meister han, |
dieser alte spruch läszt empfinden, wie dem zu mute
sei, der ein haus an ofner strasze auferrichtete, vor welchem
die leute stehn bleiben und es begaffen. jener
hat am thor und dieser am giebel etwas auszusetzen,
der eine lobt die zierraten, der andere den anstrich. ein
[lxviii]
wörterbuch steht aber auf dem allgemeinen heerweg der
sprache, wo sich die unendliche menge des volks versammelt,
das ihrer im ganzen, lange nicht im einzelnen
kundig, sowol äuszerungen des beifalls und lobes als
auch des tadels erschallen läszt.
Wenn die fächer und zellen errichtet sind, kann eingetragen
werden und unmöglich ist, dasz sie alle schon
erfüllt wären. ein tag lehrt den andern und wie froh
macht es die unvollkommne arbeit unaufhörlich zu ergänzen
und zu erweitern. eine grosze zahl sprachergibiger
werke, die jetzt noch ungelesen bleiben musten,
wird auf allen blättern übersehene wörter darreichen
und für die gebrauchten beispiele manche frischere
an hand geben; ja die bereits gelesenen hauptschriftsteller
sind allmälich wieder zu lesen, weil das erstemal
noch nicht auf alles geachtet werden konnte.
Zwei spinnen sind auf die kräuter dieses wortgartens
gekrochen und haben ihr gift ausgelassen. alle welt erwartet
hier eine erklärung von mir, ihnen selbst würde
ich nie die ehre anthun eine silbe auf die roheit ihrer
anfeindung zu erwidern.
Mag das wörterbuch den einbildungen oder vorgefaszten
plänen dieser hämischen gesellen nicht entsprechen,
die beide nicht einmal halbkenner unserer
sprache heiszen können; das gab ihnen kein recht, ein
vaterländisches werk, das alle freuen sollte, und reiche
vorräte öfnet, zu verlästern, keine kraft, es in seiner
wirkung aufzuheben oder auch nur zu schmälern. ihr
frevel ist unsrer öffentlichen zerrissenheit ein zeichen.
alles dankes, der ihrem armen flicken am zeug sonst
vielleicht geworden wäre, gehn sie baar.
Unablässig, nach jedem vermögen das in mir gelegen
war, wollte ich zur erkenntnis der deutschen sprache
kommen und ihr von vielen seiten her ins auge schauen;
meine blicke erhellten sich je länger je mehr und sind
noch ungetrübt. aller eitlen prahlsucht feind darf ich
behaupten, dasz, gelinge es das begonnene schwere
werk zu vollführen, der ruhm unserer sprache und
unsers volks, welche beide eins sind, dadurch erhöht
sein werde. meine tage, nach dem gemeinen menschlichen
losz, sind nahe verschlissen, und das mir vom
lebenslicht noch übrige endchen kann unversehens umstürzen.
der weg ist aber gewiesen, ein gutes stück
der bahn gebrochen, dasz auch frische wanderer den
fusz ansetzen und sie durchlaufen können.
Deutsche geliebte landsleute, welches reichs, welches
glaubens ihr seiet, tretet ein in die euch allen aufgethane
halle eurer angestammten, uralten sprache,
lernet und heiliget sie und haltet an ihr, eure volkskraft
und dauer hängt in ihr. noch reicht sie über den
Rhein in das Elsasz bis nach Lothringen, über die Eider
tief in Schleswigholstein, am ostseegestade hin nach
Riga und Reval, jenseits der Karpathen in Siebenbürgens
altdakisches gebiet. Auch zu euch, ihr ausgewanderten
Deutschen, über das salzige meer gelangen wird das
buch und euch wehmütige, liebliche gedanken an die
heimatsprache eingeben oder befestigen, mit der ihr
zugleich unsere und euere dichter hinüber zieht, wie
die englischen und spanischen in Amerika ewig fortleben.
Berlin 2. merz 1854.
JACOB GRIMM.