Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm ![]() | ![]() ![]() ![]() | |||
irre bis irrenheilanstalt (Bd. 10, Sp. 2162 bis 2167) | ||||
| ![]() ![]() 1) das umherschweifen und der ort da das geschieht: ich wil meinem volk Israel einen ort setzen, und wil es pflanzen, das es daselbs wone, und es nicht mehr in die irre gehe. 2 Sam. 7, 10; das sie hinauf zum Assur laufen, wie ein wild in der irre. Hos. 8, 9; welches zuvor viel jahre in der irre gegangen, und weit in feld gestanden. 3, 13; noch acht tage bleibe ich, und dann ziehe ich wieder in der irre herum. 16, 113; jetzt endlich war nach einer vierzehnjährigen irre .. der anstifter des böhmischen aufruhrs .. in der gewalt seiner feinde. 976; treibt den mann und das weib vom raume der traulichen wohnung, ja ihr erscheint mir heut als einer der ältesten führer, warum soll ich in der irre schweifen? die seele schwand in wehmut, 2) irre, zustand der zerstreuung, verzettelung: sie (meine poetischen versuche) würden noch lange zerstreut und verstümmelt in der irre und im vergessen geblieben sein. 3, 269. 3) das abweichen vom rechten wege, und der irrweg selbst, eigentlich und bildlich: mein volk ist wie ein verloren herd, ire hirten haben sie verfüret, und auf den bergen in der irre gehen lassen. Jer. 50, 6; (der offizier) begehrte gleichsam bittend, ich wolte ihm und den seinigen den weg wieder aus dem wald weisen, in welchem sie schon lange in der irre herum gangen wären. Simpl. 1, 49 Kurz; der trojanische krieg, und die irren der helden im weiten unendlichen meere. zur litt. 10, 257; das webt keiner der denker auf, wenn sie nicht hören die stimme der huld, die sanfte des vaters: ich, er zeigte mir dasz grübelnde vernunft drum muszt ich taumelnd in dem tollen tanze, wenn ich hier im dunkeln thal 4) irre, verdeutschung von λαβύρινθος: o du der irre du, der des herrschers weg zur unsterblichkeit bald hätt er sich in dem finstern gebäu des träumenden Saddok [Bd. 10, Sp. 2163] 5) irre (nach dem adj. irre 3) zustand der verwirrung, des schwankens, der ratlosigkeit: (der staub) schûf ouch sulche irre, er leidet, dasz friede 6) irre (nach dem adj. irre 5) irrsein, geistige störung: die irre seines geistes zeigt sich in seinem starren blick; er ist ganz im zustande der irre. ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() I. irren, transitiv, irre machen. 1) nach dem adj. irre 2, vom rechten wege abbringen, irre leiten, falsch leiten, gewöhnlich bildlich: mein vater hat das land geirret. 1 Sam. 14, 29; wo jemand geirret oder verfüret ist, das ir das haus entsündigt. Hes. 45, 20; was hat sie nu geirret? eben das, das sie den text nicht recht angesehen. 4, 156b; lasz du dich kein regulbuch irren, wie dick es auch sei. 12, 145; befriedigung oder verletzung des eigenen selbstgefühls irrt uns allen das urtheil. handschrift 3, 211; got hat uns lassen irren sonst schlug die lieb aus mir so helle, ihr werdet 2) namentlich auch als milderer ausdruck für täuschen: ach aus dem grabe kehr ich zurück, und mit goldschrift wenn er euch nur nicht irret. 5, 244; ist sie denn eben die noch, die auch sie wenn ich den könig irrte? wenn es mir 3) in der ältern sprache aber gewöhnlich vom vorwärtsschreiten abhalten, hindern, hemmen: irren oder hindern, impedire. voc. inc. theut. k 7a; eigentlich: nû kom her Îwein balde er sprach: wer irret uns den wec? Parz. 121, 28; oder bildlich: ih ne irta doh ten meldare nieht. ih tâte uuola ube ih in irti. doh ne irta ih in is nieht. bei Hattemer 3, 31a; er sprach: owê, wer irte dich, [Bd. 10, Sp. 2164] jglicher wird in seiner ordnung daher faren. Joel 2, 8; wo die heilige schrift deinen dünkel irret oder hindert, da thu sie aus den augen, und folge zuerst deinem dünkel, so triffestu den rechten weg gewis. 3, 483b; gott im beruf dienen und anderer beruf neben sich nicht irren. im corp. doctr. christ. (1560) 540; was den pflug irr, das soll er daraus prechen. 1, 131 Fromm.; got (acc.) irt nit, was der mensch erdenkt. aber doch achtung haben will, lant euch nit irren der pfaffen sperren laszt euch nicht irren des pöbels geschrei, dô er si slâfes irte,minne si ime verbôt. Nib. 588, 3; oder, wie später immer, an, in etwas irren: daʒ mich, frouwe, an fröiden irret, ich wolt iuch gerne wiʒʒen lân 4) diese bedeutung steigert sich zu der in schaden bringen: ob jemand der gemeine nutz und fromen wes entwendete, denselben irrete, schwechte, krenkete. Dreyding B ij; 'wodurch hab ich die republik geirrt?' dadurch hast du sie geirrt, dasz du aufschub der entschlieszung vorgeschlagen, und sie also veranlaszt hast, an sich selbst zu zweifeln. 12, 442. 5) andrerseits blaszt sie ab zu der verwirren (vergl. das adj. irre 3), stören, beschwerlich, lästig sein, ohne dasz die im folgenden hierher gezogenen beispiele immer scharf von den unter 3 gegebenen gesondert werden können: als der priester uff den cristabent das ampt an hube waren etlich frowen und manne, die machtent einen tanz uff dem kirchhof und irten den priester. altd. bl. 1, 54 (15. jh.); ein predicant der prediget nach mittag und nit weit davon tanzt man. er ward geirret von der trummen. schimpf 139b; irre die spieleute nicht, und wenn man lieder singet, so wassche nicht darein. Sir. 32, 5; las dich nicht irren, wie die gottlosen nach gut trachten. 11, 20; las dichs nicht irren, ob einer reich wird. ps. 49, 17; (ich) liesz mich nichts irren. 2, 137; schwager siehst du was? rief der zaghafte tropf vom hohen kutschbock herab mit berganstehendem haar. freilich seh ich was, antwortete dieser ganz kleinlaut; aber schweig nur, dasz wirs nicht irren. volksmährch. 231; laszt nur, mich irrts nicht wenn noch so viel um mich herum krabbeln, mir ists als wenns ratten und mäuse wären. 8, 61; meine gegner irren mich nicht, wer müszte dies nicht in der welt, besonders aber in Deutschland gewohnt werden! an Zelter 384; wer neben dir zu tisch ist gsessen, [Bd. 10, Sp. 2165] sie läugnens zwar; allein das irrt mich wenig; euch nicht dadurch werd in unserm kreise wenn ihr für die leiden der liebe was könnt, 6) mhd. hiesz mich irret ein dinc es fehlt, entgeht mir: wie tuot ir sô die glaten antlitz lieben den weiben, 7) irren, böse, zornig machen (nach irre 4): irritare, irren, erren 310a; doch ich weisz, dasz den menschen von zitternder nerve eine mücke irren kann und dasz dagegen kein reden hilft. bei Schöll 171; dasz er es aber nun schuldig sei, zu bezahlen, um gott nicht zu irren. Sternb. 2, 182. 8) der neuern sprache ausschlieszlich gehört an etwas irren, etwas irrig, unrecht thun: wir empfinden, was unsre väter irrten; was wir verschulden, wird der fluch unserer enkel. Dya Na Sore 3, 262; was ich irrte, was ich strebte, 9) reflexives sich irren schlieszt sich zunächst an die bedeutung 1 an, eigentlich sich vom rechten wege weg, sich in die irre bringen, daher in der ältern sprache sich irre machen lassen: irret euch nicht, gott leszt sich nicht spotten. Gal. 6, 7; weil sie wol gedachten die knechte würden sich nicht dran irren, ob man sie wolte abschrecken. 8, 250a; e. g. lasz ihr gefallen und irr sich nit an denen, so ahn gottes wort dawider sagen ihr eigen tand. br. 2, 399; neuer in irrthum verfallen: der herr irrt sich, dominus fallitur, animo aberrat, in errore versatur. 893; ohne zweifel wird er sich im namen geirret haben, mein lieber mann. 2, 414; irrt sie sich an der ähnlichkeit der hände? 17, 147; ich müszte mich sehr irren, oder ich musz künftig diesen letzten band zu zwei bänden erweitern. an Schiller 1, 211; L. du irrst dich über ihn, so ist er nicht. II. irren, intransitiv, irre sein. 1) nach dem adj. irre 1, umher schweifen: item die hunde die doch aller gernest wonent bi den lüten, die liefent z walde, schrigende und hülende und irrende also die wölfe. d. städtechron. 8, 328, 19; weil ich sehe, das des rottens und irrens je lenger je mehr wird. 3, 509b; aufgang und nidergang der geheften und irrenden stern. weltb. 1b; von dem kreuzen eines schiffes: nachdem mich das glück durch ein irrendes schiff eines portugisischen kaufmannes von meinem jammer befreiet. polit. stockf. 327. der neueren sprache ist dieser ausdruck ein gewählter und poetischer: wenn meine seele, vom anblick der natur begeistert, in tiefsinnigen betrachtungen und süszen ahnungen, wie in den bezauberten gärten der Hesperiden, irrte. 1, 67 (57); ich will messen lesen lassen, den irrenden geist in seine heimat zu senden. räub. 4, 5; es ist wald auf wald, wo das auge im gewühle irrt. Dya Na Sore 1, 5; so überflosz ein irrendes feuer die grüne fläche. uns. loge 3, 181; bei ihm irrten die träume — diese nachtschmetterlinge des geistes — wie andre über die nacht und den schlaf hinaus. Hesp. 2, 83; als er .. zum schwarzblauen himmel, in welchem irrende wolken um den [Bd. 10, Sp. 2166] mond wie schlacken umher geworfen waren, hinaufblickte. 104; sah .. in den grünen umher irrenden widerschein. Tit. 3, 109; in den wäldern will ich irren. mein unmuthvolles haubt war von gedanken schwer, (ich will) irren ans gestad des meers, und dich (gott) es (das kind Amor) irrt in alle hecken, hurtiger treibt der schäfer über das steinigte brachfeld war mit brennendem durste, gewisz zu werden, in Salem von irrenden rittern und wandelnden schönen doch, um den leser nicht nur dasz ein käfer hier mit trägem fluge schwirrt, indessen eure phantasie in rosenhainen irrt. 177; jetzo von Troja vielleicht als irrender kommst du auch hieher. Odyssee 11, 160; und was sich sonst an meinem lied erfreuet, nach einem selbstgesteckten ziel 2) nach irre 2, vom rechten wege abweichen, sich verlaufen, eigentlich und bildlich: aberrare irren, irre gân, erre gên 2b; irren des wegs, irren an der vernunft, errare. voc. inc. theut. k 7a; wenn du deines feindes ochsen oder esel begegnest, das er irret, so soltu im denselben wider zufüren. 2 Mos. 23, 2; verflucht sei, wer einen blinden irren macht auf dem wege. 5 Mos. 27, 8; die gottlosen legen mir stricke, ich aber irre nicht von deinem befelh. ps. 119, 110; ein mensch der vom wege der klugheit irret. spr. Sal. 21, 16; ir waret wie die irrende schafe, aber ir seid nu bekeret, zu dem hirten und bischove ewer seelen. 1 Petr. 2, 25; so jemand unter euch irren würde von der warheit, und jemand bekeret in. Jac. 5, 19; wer gegen die groszen männer den pfeil der verläumdung schieszt, der irret nie von dem ziele. 14, 177; seine kugel irrte, meine traf. 8, 289; das nie irrende geschosz. 7, 157; sie kommen grad herauf ... sie irren doch vielleicht; aber, aus dem gleise gedrängt, nach dem rande des hohlwegs 3) namentlich eine falsche meinung haben (vgl. irre 2, b); in der alten sprache in bezug auf den alleinigen wahren glauben: den irrenden könig Girsicken, der dan des ketzerlichen glaubens ein anhenger und vester handhaber was. Wilw. v. Schaumb. 12; so ich uberzeuget würde, das ich solt geirret haben, wolt ich alle irrthum widerrufen. 1, 452b; jeder der nit darzu kumpt (zur beschneidung) [Bd. 10, Sp. 2167] 12, 19; irren heiszt sich in einem zustande befinden, als wenn das wahre gar nicht wäre; denn irrthum sich und andern entdecken, heiszt rückwärts erfinden. 50, 125; da es immer schon tröstlich genug ist, mit einer anzahl geprüfter menschen eher zum nutzen als schaden seiner selbst und seiner zeitgenossen zu irren. an Schiller 1, 24; sprichwörtlich irren ist menschlich; kleinlauten tones versetzte hierauf der sammler nach einer pause, dasz irren menschlich wäre. Münchh. 1, 143; des keisers schreiber soll des keisers tochter küssen, wo der hasz und der wahn die herzen verwirren, und irr ich nicht, so zieht ein feuerstrudel was kommt heran? was schleicht herbei? wer mir glaubt, der irret nicht, 4) in der ältern rechtssprache irren mit einem in etwas, uneins sein. 1, 131 Fromm. (aus bairischen landtagshandlungen des 15.-16. jahrh.). vgl. irre 4 und unten irrig 7. 5) irren (nach irre 5), geistig gestört sein: ich irre, rase schon. ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]()
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