Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm ![]() | ![]() ![]() ![]() | |||
grätig bis grätlein (Bd. 8, Sp. 2055 bis 2058) | ||||
| ![]() ![]() 1) im anschlusz an den eigentlichen gebrauch von grat und gräte, s. dazu noch heiszgrätig s. v. 2grätig. a) von der bedeutung 'fischgräte' (grat und gräte A 1 a) her soviel wie 'gräten habend', besonders 'viele gräten habend', seit dem ausgehenden 16. jh.: (die fische) haben ein zehe ... grädtechtige substantz offenb. d. natur (1591) 245; wir brachten ein essen fisch zuwegen ausz diesem see (von Tiberias), dieselbigen waren so grätig, daz ich dergleichen nie keine gessen hab reyszbeschr. (1619) 318; ein grätichter fisch un pesce pieno di arreste t.-it. 1 (1700) 557b; die nase (naso) von dem obern rüssel, der hinter sich gebogen, also genennet (eine fischart), hat ein weisses, weiches sehr grätiges fleisch, sonicht gar gesund georg. cur. 3 (1715) 2, 304a; das ... gräthige fleisch wird beym kochen gelblich allg. naturgesch. (1839) 6, 309. mit nebenton: falsches kind! b) vereinzelt zu grat A 2 b 'dorn, stachel': spinosus dornig vel gradtig (var. gradrig) (15./16. jh.) gl. 547a. älter auch in der anwendung auf die angel bzw. den angelhaken, doch ist dabei wohl nicht von einer für grat und gräte unbezeugten bedeutung 'spitzes instrument' [Bd. 8, Sp. 2056] (s. DWB grat A 2 d), als vielmehr von der bedeutung 'scharf schneidendes instrument' auszugehen, die hier ebenfalls sachlich gegeben und im älteren gebrauch von grat (s. d. B 4 a) verbreitet ist, vgl. auch das versnîden im folgenden beleg: ouch ein vil gretik angel 2) im anschlusz an den uneigentlichen und bildlichen gebrauch von 1grat und 1gräte. a) wohl von grat A 1 d γ, δ bzw. gräte A 1 c γ,δ oder von grat A 2 b (s. ob. b) her soviel wie 'unwirsch, widerborstig'. der bedeutung wegen eher hierher als, wie vielfach angenommen (vgl. die maa.-wbb.), an 2grätig 'geizig, gierig' (s. d.) anzuschlieszen. seit dem 16. jh. belegbar (vgl. auch ähnlich gebildetes grantig): asper ruch, gretig, vnmilt, vngutig, vnwirsch etc. (Hagenau 1516) bei gl. 54b; grätig spinosus. er ist ein grätiger mensch homo est mordax, rixosus dt. wb. (1734) 1, 635; grätig 'zänkisch, böse' zuwachs d. sprachkde (1782) 2, 79; grätig sein 'leicht aufzubringen sein, jede kleinigkeit übel nehmen' oberschles. monathschr. (1789) 2, 176; grätig sein, nicht sanft sein, empfindlich, erbittert sein, und dies durch spitze reden an den tag legen 2 (1808) 445a; ich war aber damals (als der herzog v. Koburg-Gotha seine erinnerungen schrieb) sehr grätig, und er hatte auch veranlassung dazu gegeben (1889) br. an s. gattin (1912) 379. mundartlich im obd. und md. reich bezeugt, vereinzelt auch ins nd. hineinreichend. wohl gleichfalls hierher gehörig: grätig 'unnachgiebig, fest beharrend, ausdauernd im widerstande gegen die meinung anderer'. klein aber grätig preusz. 2, 526; grâtig (Pustertal) unnachgiebig, arbeitsfreudig wb. d. Tirol. maa. 1, 251. auch: grêtig (Tannheim) lebhaft, munter ebda. hierher? b) an den gebrauch von gräte A 1 c ε anknüpfend in der bedeutung 'mager, dürr': das einzige kind des hauses war eine tochter, ein braunes, grätiges ding mit zwei langen schwarzen zöpfen und damals kaum dreizehn jahre alt s. w. 5, 136 Köster. von hier aus: noch tau gradig sin, 'noch zu jung sein, von jungen mädchen gesagt, unreif' Mecklenburg 28; die kochfrau lachte schallend heraus. der (herr Belfontaine) war auch schon früher hübscher als du (ein küchenjunge) ... du grätiger pickelhering, sagte sie unbarmherzig d. unauslöschl. siegel (1946) 58. für den mundartlichen gebrauch noch verzeichnet: grätig 'mager' rhein. wb. 2, 1364; grätig 'dürr' schwäb. 3, 804. 3) im anschlusz an grat B 2, gräte B 2 in der bedeutung 'kantig, scharf'. in diesem allgemeineren sinn nur mundartlich, für das schweiz. nachgewiesen (vgl. schweiz. id. 2, 822). literarisch in speziellem anschlusz an grat B 2 e nur im kunsthistor. schrifttum des 20. jhs.: kreuzrippen mit rundem querschnitt und, was wichtig ist, mit schluszstein (finden wir) in Rosheim etwa 1170—90. die sonst nahe verwandte kirche des Niedermünsters am Odilienberg hatte noch grätige gewölbe gesch. d. dt. kunst 1 (1919) 123; aber erst die erneuerung (der Speyerer krypta) unter Heinrich IV. übertrug die dort bewiesene wölbekunst auf das mittelschiff durch kreuzförmige aber rippenlose, also gratige gewölbe kunst. d. dt. kaiserzeit (1935) 1, 148. ![]() ![]() [Bd. 8, Sp. 2057] graag (vgl. woordenboek 5, 510), welches ins westl. nd. entlehnt wurde (vgl. grâg 'begierig' 1, 672a; gra, grag brem.-nieders. wb. 2 [1767] 532), ferner ahd. grâtag, mhd. *grætec unbelegt (stattdessen ist grîtec, das zu einer anderen erweiterung der grundwz. *gher- gehört, geläufig [vgl. s. v. greitig]). ein nl. zuerst bei (1605) 106b erscheinendes gretig 'avidus, appetens', das dann wohl vom nl. her auch ostfries. (von 75a für Emden) belegt wird (vgl. auch 1, 682a), ist wohl am ehesten als entlehnung unseres wortes 2grätig zu fassen, welches im 17. jh. im hd. noch einmal lexikalisch belegbar wird und sich vereinzelt in lebenden maa. (s. u.) erhalten hat. dies nl.-ostfries. gretig 'gierig' seines dentals wegen zu germ. *grat (s. ob. grasz, adj. 'wütend, zornig') zu stellen (wie 139; 214), die bedeutung des wortes aber (wie t. 4, 1, 6, sp. 202) aus einem (jedoch nicht nachgewiesenen) nd. gredig (entspr. unserm wort) herzuleiten, dürfte kaum möglich sein. —2grätig ist ahd. nur in frühen glossen des beginnenden 9. jhs. bezeugt: inhiantes cratage ahd. gl. 2, 316, 10 St.-S.; ebda 1, 171, 4; inhians gratac, gratach ebda 1, 191, 29. im 17. jh. lexikalisch (vgl. auch die belege s. v. gretig): grätig, grätiglich, it. grätschicht, adj. avidus, appetens, cupidus, et adv. avide, voraciter stammb. (1691) 691; grätig 'geil, gehört zu dem stammworte gehren' zuwachs d. sprachkde (1782) 2, 79. für die lebende ma. als gradig 'begierig, neugierig' rhein. wb. 2, 1341, als grädig bei 1, 286b für das rheinhess., sowie in einer nebenbedeutung 'geizig, naschhaft' in heiszgrätig schwäb. 3, 1398 (vgl. auch teil 4, 1, 6, sp. 94 s. v. greitig), während schwäb. grätig 'mürrisch, leicht reizbar' 3, 804 und dasselbe wort in heiszgrätig 'leidenschaftlich, zum zorn geneigt' ebda 1398 mit 2grätig in der bedeutung unvereinbar bleibt und vielmehr zu 1grätig (s. d. 2 a) zu stellen sein wird. das gleiche gilt wohl von der bei Fischer s. v. heiszgrätig beigebrachten bedeutung 'hager, kränklich' (s. 1grätig 2 b) und besonders von der zu 1grat B 3 c und 1gräte B 3 c gehörenden bedeutung 'steinig, kiesig, unfruchtbar'; die genannten unterschiedlichen bedeutungen von schwäb. heiszgrätig wären demnach auch etymologisch voneinander zu trennen. anders, aber wohl zu einfach, ist die darlegung t. 4, 2, 918 s. v. heiszgrätig. — nicht zu 2grätig, wie Mensing annimmt, sondern zu geradig t. 4, 1, 2, sp. 3558 gehört: gradig, adj. 'geschwind, hurtig'. de gradig geit, kümmt gradig wedder schlesw.-holst. 2, 463. dazu vielleicht auch einiges aus den nd. nachweisen s. v. gretig? ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() [Bd. 8, Sp. 2058] expectiviret und die marinengebühren und expidition gratis gegeben (1716) Berliner geschrieb. zeitungen 18 Friedländer; ich hoffe, sie (der vater) werden mir die gefälligkeit erweisen und mir selbe (arien) schicken; aber gratis das bitte ich sie, sie thun wahrlich ein gutes werk (1778) br. 1, 162 Schied.; diejenigen welche sich dem sammeln der subscribenten, der einziehung der gelder und abgabe der exemplare unterziehen wollen, erhalten auf sechs exemplare das siebente gratis Göthe I 41, 1, 82 W.; ich esze heut zu hause, des beszern weins halber; wenn sie sich bestellen, was sie haben wollen, so wär mirs lieb, wenn sie auch zu mir kommen wollten; den wein bekommen sie gratis und zwar beszer wie in der hundsföttischen Schwanen (1809) s. br. 1, 249 Kal.; eine andere erfindung will ich zum heile der litteratur nicht verschweigen und will sie gratis mitteilen s. w. 3, 168 Elster; auch an der universität besteht seit jahren keine ordentliche professur für deutsche literatur, während drei bis vier privatdozenten beinahe gratis lesen und sich im lichte stehen (1884) br. u. tageb. 3, 473 Ermat.; man hatte uns gesagt, dasz wenn wir uns auf dem flosz zum rudern bereiterklärten, wir gratis mitfahren könnten aus m. leben (1946) 1, 40. ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() hilfe! der herr Rätel [Bd. 8, Sp. 2059] namentlich in der unter gräte (s. d. A 1 c β) entsprechend begegnenden wendung kein, nicht ein grätlein, im 16. und 17. jh.: als sie ... gesuchet, wo die fische wären, ist nicht ein grädlein fisch gefunden worden (1599) Fausts leben 153 Keller; wir haben die gantze nacht blutsawer gearbeitet, und haben nicht ein grätlein gefangen hertzpostilla (1613) 1, 427; Petrus hat ein gantze nacht gefischt ... und nicht ein schneiderfischel erhalten, er hat nicht ein grätel bekommen auf, auf ihr christen (1683) 68. 2) nur singulär der bedeutung grat B 3 b nahe, in botanischem gebrauch: der stengel (ist) schön heither grien, vnd mit kleinen streiffelein oder gretlein, der lenge nach gezieret erdgewechsse (1578) 97b.
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