Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm ![]() | ![]() ![]() ![]() | |||||||||||||||||||||||||||||||||||
verwahrlassen bis verwahrloslich (Bd. 25, Sp. 2084 bis 2089) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
| ![]() ![]() ![]() ![]() 1) zum zweck der verwahrung, in verwahrung: unter der mahlzeit setzet er das glasz in die schreynerey, allweil bisz er geszen, daselbst v. zu stehen wendunmuth 2, 198; das landessachen in loco publico und der herren fürsten und stände archiven v. enthalten werden acta publ. 1, 17 Palm; in einer der fürnembsten kirchen zu Metz ward ein verzeichnis v. aufbehalten apophthegmata 9; (wir) sehen deinen sarg als ein behältnisz an, [Bd. 25, Sp. 2085] beobachtungen 67; v. beylegen (in einem vorratshaus) älteste gesch. d. Deutschen 309; er (der eiserne nagel, den ein eingeborener besazs) ist jetzt im brittischen museum v. niedergelegt s. schr. 1, 373. 2) zuweilen mit der bedeutung sorgfältig, sorgsam: das si dis reformirte urbar fleiszig und wol v. aufheben und behalten (1572) öster. weisth. 10, 187; (ein pfand) verwahrlichen und ohne schaden halten 107 Ö.; diese compositiones (pulver für feuerballen) werden alle mit leinöhl angefeuchtet, der ballon wohl gedrungen und v. fest eingeschlagen v. teutsche soldat 70. vereinzelt bedeutet v. geradezu wohlbehütet, unversehrt: dasz er mit den seinigen frisch und gesund ... seye, ja das seinige noch also v. stehe Faust 183 K. 3) in gewahrsam, gefangenschaft: als im ... etliche gfangen ... verwehrlich z behalden befohlen worden wendunmuth 1, 39 lit. v.; (die gefangenen) verwarlichen, doch fürstlichen unterhalten lassen wahrh. gesch. (1583) 91b; diejenigen, so etwan keine paszettel vorzuzeigen ... hetten, ... alsbald verwahrlich anzunehmen v. schwed. krieg 1, 302; ich (habe) nun diesen losen buben v. beschlieszen ... lassen Octavia 2, 210. — ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() I. transitiv. A. 'die schuldige sorge für eine sache nicht haben' wb. (1793) 286b; negligo Alberus; negligere, ... negligentius providere, procurare, prospicere Stieler. 1) meist in dem sinne, dasz das betroffene object dadurch schaden leidet: negligentia corrumpere, per incuriam perdere 315b. a) von personen: an diser (der apostel) leer und wrcken hat man z dyser zeyt kein verngen: man scht und erdicht andre nüwe lypliche wrck, als ob uns Christus und sine zwlfpotten verwarlost (nicht genügend belehrt) hetten 195 G.; zornreden wider die ungetreuen hirten, welche gottes heerde v. hist. u. pol. aufs. 1, 6. von kinderpflege und -erziehung: dieweil man so verruchtlich und ungottsförchtiglich die kinder in der jugent verwarloset und aufzeucht hebammenbuch (1580) 151; denn ihm zu gefallen werd ich mein kind nicht v. (indem ich es durch einen hofmeister erziehen lasse) 1, 21 Tieck; ein kind v., dasz es zum krüppel wird nouv. dict. (1783) 2, 940; (die amme) verwahrloste daz kind franz. revol. 180; auch von schädigung durch unbeabsichtigte magische wirkung: ob könte ein kleines kind durch eines andern mund, der solches kleines kind etwan lobet, bewundert oder ihm zuredet, beschriehen und verwahrloset werden frauenzimmerlexikon 201; wenn ein pathe in der kirchen hustet, und das kind bekähme einmahl auch den husten, und ihr woltet davor halten, dasz es durch des pathen husten in der kirche sey verwahrloset worden rockenphilosophia 1, 90. in älterer zeit häufig von krankenpflege: [Bd. 25, Sp. 2086] mit irem haimlichen kosen du bist und bleibst ein ausgemachter dummkopf. ... b) reflexiv. α) in älterer zeit mehrfach von unnöthiger, mutwilliger selbstgefährdung (vgl. DWB B 2): aber ich will nit deren einer sein, die sich durch ir tumheit also verwarlosen (wie die hunde, die im dienst ihres herren bleiben, obwohl er einen von ihnen totgeschlagen hat), sondern ich will mich vor dir bewaren nach allem minem vermögen buch d. beispiele 140 lit. v.; das sich niemand selbs verwarlose, noch mutwillig in gefahr gebe, denn das hiesze got versuchen 28, 209 W.; besonders dadurch, dasz man sich nicht vor ansteckenden krankheiten hütet: auf das ich mich selbs nicht verwarlose und dazu durch mich villeicht viel andere vergiften und anzunden mochte 23, 366 W.; dieweil dann dise abscheuliche kranckhait gantz hochbeflecklich ist, ... und aber die menschen sich selbs nit mtwillig verwarlosen sollen (Augsburg 1562) chron. d. d. st. 33, 188. ebenso den leib v. 23, 364 W., leib und leben 23, 346. β) in neuerer zeit: weil sie ... sich selbst verwahrloset haben (und deshalb einander heiraten muszten) über die ehe 146; wenn einer ... sich durch diebstahl oder anderes verbrechen an seinen ehren verwahrloset Noel Chomel 7, 388; wenn ich z. b. in erwartung übernatürlicher kräfte die mir geschenkten natürlichen gaben nicht anbaue ..., verwahrlose ich mich nicht selbst? 20, 18 S. c) von sächlichem: er ward ... beklaget, wie er das öl von fünf faszen, das im befolhen was, hette verwarloset Äsop 307 lit. v.; das ... nicht yendert ain schiffman mit übrigem eilen etwas (beim verladen) verwarloszt Odyssea 55a; wo sie diese statuen und gefäsze (bei der überschiffung nach Rom) ... verwahrlosten oder zu grund gehen lieszen ges. schr. 7, 1, 33. zuweilen geradezu verlieren: wo aber dasselbig gelt oder kleinot (das pfand) durch den schultheiszen verwarloset und verloren würd kriegsbuch 1, 3; hingegen sol das dritte (stück gold) neulich von einer frawen verwarloset seyn Anthropodemus 1, 111; br. sagen 1, 45. übertragen: aber diese beschlaffene ihren höhesten schatz ... verwarloset und zur ehe nicht wol komen kan 30, 3, 226 W. von gut, besitz, eigenthum: sie verwarlosen der herrschaft das ihre antipap. eins und hundert 4, 205a; das vermögen ist ein mittel zu unzähligen guten absichten; es v. ist deszwegen schon mehr als thorheit w. 5, 179. militärisch: wo man sie (die festen plätze) nicht ... aus vorsatz muthwillig v. und übergehen lassen wollen v. schwed. krieg 1, 219; als wann durch das liederlich gesind nicht nur Candia, sondern auch Venedig selbst verwahrlost worden und in des Türken gewalt kommen wäre 3, 343 Keller. in neuerer zeit vorwiegend von abstracten begriffen: ich wil sein glücke nicht v. polit. redner (1677) 307; anerwogen der ... mensch sein ... vorrecht, die vernunft, gröstentheils verwahrloset crit. dichtkunst 1, 205; wenn früher die heilige [Bd. 25, Sp. 2087] flamme (liebe, enthusiasmus) verwahrlost wurde briefw. u. tageb. 1, 330. 2) etwas v., so dasz es schaden anrichten kann: deswegen vergleichet Jacobus dieses glied (die zunge) mit dem feuer, dessen fünklein, wenn es verwahrloset wird, einen groszen brand anrichten kan Pathmos 373 (s. u. 5); eine entzündung, die nur zu oft unheilbar ist, weil man aus falscher scham ... sich das übel nicht merken lassen will und daher verwahrloset, was im anfange leicht zu heilen gewesen wäre verm. schr. 1, 239. 3) etwas ohne sorgfalt, unsachgemäsz, unrichtig ausführen oder betreiben: du hast dein ampt an diesem menschen verwarloset 32, 41 W.; er verwarloset den dienst 750 sprichw. (1534) 2, 7a; umb das er den streit verwarlost (den kampf verloren) hett Livius 42a; dasz man ihre erziehung verwahrlost hatte pros. vers. 2, 41. zuweilen liegt die bedeutung versäumen, unterlassen nahe, besonders bei unbestimmtem object: vor allen dingen bewar man den buch, den was mit dem buch verwarlosset würt, das würt dem gantzen leib z unstaten kumen Murner bei 5, 490 B.; dasz in irem ampt 4) eine sache wenig beachten, miszachten, gering schätzen, versäumen, sie sich nutzbar zu machen: wie jemerlichen ist das, daz die grosze genade gottes von uns verwarloset wurt predigten 130 V.; die nachlässigkeit, womit die ersten entdeckungen (der alterthümer in Herculanum) verwahrloset worden das neueste a. d. anmuth. gelehrs. 9, 167; du hast den krieger stets zu hoch gestellt, 5) ein unglück durch nachlässigkeit geschehen lassen, nur in älterer zeit: wo er wurde auf gut wetter warten und hiezwischen verwarlosen, das der feindt uberschiffet Polybius 47. besonders von feuersbrunst (vgl. oben 2): dasz dasselb feuer in des Goszenprots haus aufgieng gleich zu mittem tag und was also verwarlost: die megt ... lieszens (asche im kornhaus) also haisz ligen als lang, bisz es darunder prinnen ward (Augsburg 15. jahrh.) chron. d. d. st. 5, 149; man stnd in zweyfel, ob es (ein feuer im pulverthurm) von den Türcken beschehen oder durch die Wallonen verwarloset worden Schweizerchronik 40a. B. schädigen, verderben, gefährden, ohne dasz dabei die vorstellung der nachlässigkeit, achtlosigkeit vorliegt. 1) in älterer zeit geradezu vernichten: annihilare nov. gloss. 24; annullare voc. (1482) KK 3b; ydoch wizzet hi beneben, das er nichts umbstosz noch verschüt, [Bd. 25, Sp. 2088] 2) gefährden (vgl. DWB A 1 b α): und kam einer únden slag des windes in das stillestênde wasser, und sú wurden erfúllet und verwarlôset (periclitabantur) Züricher Lucas in zeitschr. f. d. wortforsch. 2, 167. 3) schädigen: damit (dasz er Christus tötete, ohne dazu berechtigt zu sein) ist ihm der tod schuldig worden, hatt ihm unrecht than und in ihn gesundigt, sich selb aller ding verwarloszt, das Christus ein redlich anspruch zu ihm hatt 10, 1, 1, 516 W.; körperlich beschädigen: ihr habt euch die knie verwarloset, wenn ihr in die rauchlöcher gekrochen seyd comödienprobe (1696) 284. 4) im 18. jahrh. moralisch verderben, schlecht machen: dasz der vertrauliche umgang eines alchymisten jeman den sehr v. ... mag 2, 77 R.; dasz es sehr unverantwortlich seyn würde, auch die andere hälfte des menschlichen geschlechts mit dieser autorseuche zu w. 2, 220; aber die philosophie hatte ihn schon in der jugend verwahrlost Grosse bei deutsche erzähler d. 18. jahrh. 166 lit.-denkm. II. in älterer zeit auch absolut: v., thöricht, unklug, unbedacht, nachlässig handeln: ich weisz aber nicht, ab es gott über i. f. g. verhing oder die balbier verwahrloseten, denn der schaden gerieth i. f. g. übel 44 Ö.; da was nichts an der sach, allain dasz sie (es ergänzt der herausgeber) verwarlost hetten mit der losung, die was inen nit anzaigt worden; das was der auflauf (Augsburg 1524) chron. d. d. st. 29, 31. von verlorenen gefechten: und ward schantlich verwarlost (Augsburg 1450) chron. d. d. st. 22, 102; und ward verwarloszet (Augsburg 1499) 23, 426. auch der substantivierte inf.: in disem monat seind ... durch des jungen volcks verwarlosen 8 baurenhöf abgeprunnen (Augsburg 1561) 33, 108. III. jünger und seltener ist der intransitive gebrauch: dess stund ir müllwerck nicht sehr wol, IV. in neuerer zeit am gewöhnlichsten ist das adjectivisch gebrauchte part. prät. 1) meist verkommen, vernachlässigt: a) von personen: ohne das geringste studium von mathematik und anatomie müssen sie (die kunstschüler) ... einem meistens verwahrlosten modelle gegenüber sitzen im briefw. zw. Gleim, H. u. J. v. Müller 1, 314 K.; beim anblick elend geborener oder körperlich verwahrloster menschen ritter vom geiste 1, 209; der unmuth einer arg verwahrlosten truppe deutsche gesch. im 19. jh. 3, 135. geistig beschränkt: jeden, der nicht ganz v. ist II 4, 34 W.; ein frömmler oder ein verwahrloster kopf tagebücher 1, 291; dasz sie (menschen, die alles in eine form gegossen haben möchten) verwahrloset sind in der gabe, etwas verständig zu verstehen I 5, 46. am häufigsten von kindern: ein kind von 12 jahren, das nicht ganz v. ist briefe d. neueste litt. betr. 13, 94; verwahrloste kinder verbrecherischer eltern gespräche 5, 226 B.; zum besten der hiesigen erziehungsanstalt für sittlich verwahrlosete kinder ges. schr. 7, 167. b) von sächlichem: die verwahrlosten und ohne bedeckung gelassenen grenzen gesch. d. Deutschen 1, 105; ein garten, wo in verwahrlosetem aber freudigem wuchs bäume mancherlei art grünen ges. w. 6, 44; wo ist ... eins (ein theater) so verwahrlost als das unsere? 22, 157 W.; den verwahrlosten garten was ich erlebte 3, 62; dicker und verwahrloster ... haarwuchs alte denkmäler 2, 177; eine verwahrloste menge von büchern 7, 12; die verwahrlosten englischen stadtverfassungen [Bd. 25, Sp. 2089] deutsche gesch. im 19. jh. 1, 285; an den unfertigen und verwahrlosten lehmhäusern volk ohne raum 1, 230. von geistigem: dasz sein geschmack so sehr verwahrloset wäre literaturbriefe 5, 205; verwahrlosete tugend 2, 271 M.; eine verwahrlosete empfindung 14, 9 S.; ein verwahrlostes musikalisches gehör 8, 16. 2) im 18. jahrh. auch zu etwas verwahrlost, verdorben, untauglich: alle einwohner dieser hauptstadt ..., die nicht zu allen empfindungen musikalischer und poetischer schönheiten verwahrloset sind literaturbriefe 9, 8; unter seinen nachkömmlingen ist einer vom mutterleibe zur herzhaftigkeit so v., dasz er die spitze einer klinge nicht mit unverwandtem blicke ertragen kann ges. schr. 2, 45; jeder, der zum leser nich v. ist s. w. 2, 15. — ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]()
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