Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm ![]() | ![]() ![]() ![]() | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
sehr bis sehrmann (Bd. 16, Sp. 160 bis 165) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
| ![]() ![]() die form mit auslautendem e (mhd. sêre) hält sich im älteren mhd. und mundartlich: gespile, liebste gespile mein, die oberdeutsche volkssprache kennt das wort nur aus dem schriftgebrauche, vgl. 2, 321; doch auch in manchen md. und nd. gegenden wird sehr gern durch wörter volleren gehaltes ersetzt, vgl. z. b. 2, 336a. zeitschr. 4, 30. das adverbium kann in volksthümlicher rede vor attributivem adj. adjectivische flexionsendungen annehmen: e sehrer guter kerl, e sehres braves mädel. 211b; oder es wird selbst allein attributiv zum subst. gesetzt: er war in sehrer angst, in heftiger angst. aus Danzig; een seer kerl, ein tüchtiger kerl 420a (s. unten sehrkerl, sehrmann). e sîre kouh, eine tüchtige, gut milchende kuh erg. 1, 24. alterthümelnd: indessen der Sigrist die kleine glocke geläutet, was er aber nicht mit sehrem fleisze gethan. 1, 55. 1) im sinne von schmerzlich, betrüblich: hie fragôda hwat siu sô sêro biwiopi, thuo habdun hiro firindadi wio mag werdan thaʒ io war, ein wort heiʒit êre, ich engalt es ê sô sêre. Iwein 772; des schildes ampt gît êre. fride und reht sint sêre wunt. wæn aber mîn guoter klôsenæreklage und sêre weine. 34, 33. gänzlich verblaszt: ouh half in sêre daʒ diu kint [Bd. 16, Sp. 161] dô quam sente Andrêas vur daʒ tor alse ein pilgerîn, und klopfete sêre. myst. 1, 10, 21. beachtenswerth ist, dasz landschaftlich sehr sich genau wie fast entwickelt hat: særn, beinahe, særnægest, auf ein haar 223b; das wasser ist sehr all, fast völlig aus dem fasse gelassen, das geld ist sehr all, fast gänzlich ausgegeben. 380 (obergrafschaft Hanau); es waren sehr nahe sechsig leute da, an die sechzig. 274 (Gelnhausen); im sinne von schnell: sêre, sêre gân 190b; hiel siehr, sehr schnell Aachn. mundart 227; vgl. erg. 1, 24. schlesisch: a loigt sirrer as a lêft. zeitschr. 3, 416, 601. bei dem freieren sprachgebrauche des älteren nhd. kann sehr je nach dem zusammenhange bisweilen einen besonderen sinn mit einschlieszen, den die neuere sprache besonders ausdrücken würde, man vgl. z. b.: diese zogen durch verborgene wege und sonderliche umbgänge mit solchem fleisze, dasz sie desz nachts sehr an die festung kamen (= sehr nahe). Argenis 2, 430 (1645). 2) verbindung des adverbiums mit adjectiven; vor prädicativem adjectivum: er ist sehr alt, sehr gelehrt, sehr ehrgeizig u. ä. und gott sahe an alles was er gemacht hatte, und sihe da, es war seer gut. 1 Mos. 1, 31; ist ein flieg odder wurm, dem groszen rindt viehe mitt seinem scharpffen angel seher uberlestig. thierbuch Alberti Magni (1545) E e 4b; andere prädicative bestimmungen: der schein ist sehr wider mich. substantiviert: dô der sêre wundedes swertes niht envant. Nib. 925, 1. vor attributivem adjectivum: widerumb füret jn der teufel mit sich, auff einen seer hohen berg. Matth. 4, 8; ein sehr reicher kaufmann, ein sehr werther freund, sehr geehrte anwesende, die sehr vorsichtige untersuchung u. ä.; dem unbestimmten artikel vorangestellt (jetzt ungebräuchlich): Mose war seer ein groszer man in Egyptenland. 1 Mos. 11, 3; fanden seer eine grosze stat, Melinde genant. weltbuch 218a (1542); die andern brüder dagegen behaupteten, dasz solche beweise, aus der natur und von ihren absichten hergenommen, sehr ein geringes gewicht hätten. 56, 198; bei adverbialen, modalen bestimmungen: ich bin sehr früh aufgestanden, sehr zur unzeit gekommen, das kann sehr wohl sein, geschehen; sehr wohl, molto bene deutsch-ital. dict. (1702) 2, 756c; ich kann es sehr ungern leiden, admodum œgre fero 2, 581; welches meines bedunckens nit seer wol gesprochen gewesen. rollwagenb. 5, 6 Kurz; graf! dieser Mortimer starb euch sehr gelegen. ungewöhnlich vor schon gesteigertem adverbium: er wünscht dessen noch von seiten des prinzen versichert zu seyn, weil sehr öfters abgedankte officiere um dergleichen plätze ansuchen. 6, 219; dasz ... die aufwallenden mineralischen und entzündbaren materien sehr öfters in flusz gerathen sein werden. 9, 49. dem verstärkten adverbium nachgestellt: stank jammerlîken sêre. quelle bei 4, 192a. bei verben (so vorwiegend im mhd., vgl. mhd. wb. und a. a. o.): ich zweifle sehr, es verdrieszt mich sehr, ich musz mich sehr wundern, sehr trinken, weinen, lachen, hungern, dürsten, hassen, lieben, sich beklagen u. s. w.; das der gantze berg seer bebete. 2 Mos. 19, 18; er lies seer blitzen und schrecket sie. ps. 18, 15; ein zenkisch weib und stetigs trieffen wens seer regnet, werden wol mit einander vergleicht. sprüche 27, 15; gott aber ist nicht der todten, sondern der lebendigen gott. darumb jrret jr seer. Marc. 12, 27; und ich weinet seer. offenb. 5, 4; bey welcher gelegenheit mancher bischoff desselben schwere ungnade ja eben so sehr empfunden, als sehr hingegen andere seine güte zu preisen hatten. hist. (1721) 1, 179. im allgemeinen setzt der ausgebildete sprachgebrauch sehr nur, wo es sich um intensität, wirkliche gradsteigerung handelt, wir sagen sehr schreien, fremd klingt uns: von der und der materie werd ich in der nächsten zeile sehr reden. aus d. teufels pap. 1, 110; die ältere sprache ist freier: sô swer ich eu des sêre, hier hast du sehr gewohnt; hier hat man dich geehret. [Bd. 16, Sp. 162] sehr mann. 3, 9 (1802); freilich nahm er, wie erwachend, aus der mondhelle ab, dasz es sehr nacht sei. komet 1, 82; mein vater ist sehr kaufmann. ges. werke 4, 112; er ist zu sehr kenner, als dasz er getäuscht werden könnte; nach haben: ich habe sehr ursache, ihm zu danken; du hast sehr unrecht. 3) verstärkung des adverbiums: diu edel küniginnevil sêre weinen began. Nib. 61, 4; daʒ zurnde harte sêreder helt von Niderlant. 117, 1. fast sehr (ebenso sehr fast): ich wil meinen bund zwischen mir und dir machen, und wil dich fast seer mehren. 1 Mos. 17, 2; wiewol ich euch fast seer liebe. 2 Cor. 12, 15; fast seher gedemütigt. sat. u. p. 2, 103, 19; vielleicht ist genug in folgender stelle verstärkung zu sehr (doch vgl. oben DWB sehr öfters): gewisz, gewisz sie werden noch alldar si striten also sêredaʒ al diu burc erschal. Nib. 461, 1. deine gedancken sind so seer tief. ps. 92, 6; gar zu sehr, nimium; allzusehr, plus quam satis; nicht zu sehr, mediocriter, leviter 1994; sie gefällt ihm mehr als zu sehr; er ist zu sehr hofmann, als dasz er diese frage unbefangen prüfen könnte; isz wie ein mensch, was dir furgesetzt ist, und frisz nicht zu seer, auff das man dir nicht gram werde. Sir. 31, 19;nu versprich eʒ niht ze sêre. Nib. 16, 1. 4) in der älteren sprache ist das wort der steigerung fähig, vgl. mhd. wb. und a. a. o., 4, 192a; der ausgebildeten schriftsprache sind diese formen, die im 16. u. 17. jh. noch durchaus gebräuchlich sind (besonders der comparativ), verloren gegangen, Steinbach bezeichnet den comparativ als landschaftlich, Adelung kennt sehrer und am sehrsten aus 'einigen gemeinen mundarten'. Campe bemerkt, die steigerungen seien der guten sprechart und mehr noch der guten schreibart fremd. mundartlich haben sich gesteigerte formen erhalten, zum theil allerdings in entstellungen: sihrer, am sihrsten 285; serrer, am serrsten Oberlaus. 4, 10; sêrer 21a. 211b; setter, serner 212a; serner, sernst Erzgeb. 7, 74; sirrer zeitschr. 3, 419, 601 (schlesisch); sera Bayerns mundarten 2, 267 (fränkisch). comparativ: es gehet mir sehrer zu herzen, multo acerbius est 1995; das ärgert mich noch sehrer 211b; das thut noch sehrer weh; noch sehrer schlagen 285; daʒ man sie darinnen meer und seerer beswerde dan in andern stetten. deutsche städtechron. 3, 374, 15; hantieren mit denen, die alle welt berauben, und stelen seerer, denn alle ander. 2, 490a; je seerer die welt wütet, je küner und trötziger sie werden. 3, 431a; wiewol er hie sehrer und mehr geeilet hat. 4, 2b; wer die lügen nachsagt, der leuget noch seerer. 5, 168b; unsern herrn gott verdreuszet nichts sehrer unnd hefftiger. tischreden (1568) 25b; der knecht so des herrn willen weisz, und thut jn nicht, wird viel sehrer geschlagen werden. 44a; darumb desto sehrer (eilte man). 345b; solchs verschmâcht noch sehrer den juden, warn erst recht zornig. bair. chron. 1, 806, 34; vermitten nichts serer, dan das in ainer nur an der marter nit stürb, 815, 28; was scherpffet die augen sehrer denn neidwasser. Sarepta 153a; unnd ist gäntzlich war, das die alten wölff sehrer fressen, dann die jungen. schwankb. 141 Lichtenstein; förcht die bauchfülle mehr und sehrer dann gott den herrn. nachtbüchl. 227, 15 Bolte; lieff darneben so schnell, dasz er sie nahe erreicht hette, und ye sehrer er eilet, jene noch vil mehr. wendunm. 1, 323 Österley; denn mich auff erden nichts sehrer zu solchem elendt bewegen kündt. buch d. liebe 255d; welches jfg. noch sehrer verdrosz. 184 Österley; damit nicht irgent ein kriegsknecht .. sehrer zu dürsten anfienge. ind. reisen (1603) 9; Amurat [Bd. 16, Sp. 163] sehlegt noch sehrer zu. 2, 765, 11 Keller; er lacht noch schrer. 4, 2527, 10; so werde ich noch sehrer von inwendig hinausz schieszen. apophth. (1639) 129; sô der man ie mê gewinnet, frasz sehrer denn der andern kein. dan tag nt nacht mich trkt' dein' hand i serer. hat abgnommen an ehr und gut du nimmst auf deinen rücken weil mancher arme leute sehrer als der teuffel plaget. mir ist es hertzlich leid, wenns gleich noch sehrer wär. superlativ: szo denn die priester, die von göttlicher ordnung eingesetzt sind und gottis gesetz lernen, das mehr mall unnd am sehrsten yrren. 8, 377 Weim. ausg.; triben das gesetz am sehrsten. 14, 368, 16; die groszen hansen aber, die am besten und sehrsten fluchen können. fluchteufel (1564) B 7b; wie die seichtesten über die steine schüssenden bergbäche am sehrsten rauschten. Armin. 2, 283b; als er (der holzstosz) aber am sehresten loderte. 970b; das schmerzet mich am sehresten. 1995; des ich aller sêrest ger, sô ich des bite, wenn sie euch geben gute wort, welche iren man aber das mich am sersten anficht. wer holtz abschlägt in den letzten zween tagen 5) landschaftlich (Preuszen) wird auch ein diminutiv gebildet: sehrchens häszlich. 2, 236a. ![]() ![]() [Bd. 16, Sp. 164] in besonderer verbindung: en sêre wind, lästiger, heftiger 190b. ![]() ![]() der ausspruch, endungsart, und der mundarten köhr, sie fürchtet' eine sehre, nichts ihr bringe fahr und sehr. 7, 84. in den mundarten sind dagegen substantivbildungen erhalten, z. th. mit specialisierter bedeutung im sinne von geschwür, grind, besonders diminutivbildungen im sinne von pustel, kleines geschwür u. ä. abzuscheiden hier ein anderes wort, mhd. siure, f. milbe, krätzmilbe und die durch sie hervorgerufene pustel oder ähnlicher ausschlag, s. mhd. wb. 2, 2, 362a. mhd. handwb. 2, 949, vgl. 6, 273; cantharis, siure 96a; cyrillus, wasser sure, handsury, -süry, -seyrin 122c; siro, sirones, sre, seuren, seiren, siur, seyrin, sury, eyn ser, zuer, zure, sir, sur 538b; teredo, seurle vel beiszende bletterle, siere, sierken 579a; verteca, suer, siere, ziere 614b. dieses wort mhd. siure und sêr, sêre sind z. th. durcheinander geworfen (s. unten die notiz aus Kramer) oder berühren sich nahe in der bedeutung; sähr, seer, sehr, ulcus 1414; sehr, sähr, ser, m. ulcere, ulcera rodente e cocente ma piccola deutsch-ital. dict. (1702) 2, 756c; sehrlein, sährlein, pustula ardente, certo vermicello, che nasce frà carne e pelle con più pizzico che dolore ebenda; siârstêd, wunde, seere stelle (Helgoland); iârig siâr, kopfgrind zeitschr. 3, 29; nd. sêr im allgemeinen, alten sinne von schmerz: enem veel hartseer (herzeleid) andoon. brem. wb. 4, 755; specialisiert, jede verletzung an der haut, besonders eiternder ausschlag, grind, schurf; quaad seer, der böse grind 754; aber sür, süre, filzlaus, hitzblatter; nig een sür, nicht das geringste 1103; koppseer, kopfweh, tänseer, zahnweh; bös seer, grind 4, 90. 91; sêr eiternder ausschlag der haut; sêrkn, der mundausschlag saugender kinder, bestehend in weiszen bläschen auf der zunge 191b; srkn, kleines geschwür 217a; sêr, n. verletzung am körper, eine kleine wunde, offene stelle; ein geschwür, der ausschlag 190b; söæreken, n. mundausschlag 202a; sêr, n. übel, krankheit 235b; säär, säre, verletzung der haut, wunde, kleines geschwür 209a; geen sier, sierke, nicht das mindeste (mhd. siure) 246b; ser, sêr (de und dat) schmerz, leid, wunde, schmerzende stelle, namentlich geschwür 3, 175b; sîre, f., sîrechen, n. hautbläschen, pustel, hitzbläschen (siure) 215; sihrele, wasserhitzblätterchen prov. wb. 2, 155 (Elsasz); sujerl (Österreich); suir (Ulm) 181; seure, seiren, seirle, suira, suiren 386b; seier, f., seierlein, n. hautbläschen, hitzbläschen; venediger sürren, eine art hautausschlag. 490. diu sêre (mhd. sêre), die krankheit, empfindlichkeit 423a; sêri, f., empfindliche stelle, wo die haut nach einer schnittwunde, brandwunde oder aufgebrochenem geschwür sich neu bildet Davos 1, 151; s. besonders seurlein, seure bei 2, 322.![]() ![]() 1) verwunden, verletzen mhd. sêren (aus sērian, sērōn) mhd. wb. 2, 2, 255a. mhd. handwb. 2, 890; vgl. 6, 271. mnd. sēren 4, 192a. die nhd. schriftsprache hat das wort früh eingebüszt, erhalten in der composition versehren, vgl. auch oben besehren theil 1, 1612. 2, 322; und das hirn also geseeret wird. quelle von 1512 bei 386. verletzen in übertragenem sinne: niemand verachten noch unehrn, ein mensch der da den ehstand sehrt. 169; doch solt jr nicht jhr leges ehrn, [Bd. 16, Sp. 165] mî; hê hed sük serd oder beserd. 3, 176a. 2) intrans. mhd. sêren (ahd. sêrên, dolere 6, 271) setzt sich fort in searn, wund werden 232; serende krankheit 2, 322; wol auch in sich abseren, sich durch sorge und krankheit zu grund richten. ebenda; vgl. Bayerns mundarten 2, 257. ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() was sich mit selbstgefälligkeit bedeutung gibt,
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